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Album von Folk-Duo FreckleVorboten des Frühlings

Sorglos mit Gitarre gibt sich das Duo Freckle auf seinem selbstbetitelten Album. Ihr Folk-Gebräu präsentiert sich freundlich, lodernd und chaotisch.

Kein Streuselkuchen, es schmeckt dem Duo Freckle aber hoffentlich trotzdem Foto: Denee Segall

Berlin taz | Die Winterkälte weicht allmählich, die Hauptmasse an Menschen suhlt sich aber immer noch im künstlich gewärmten Zuhause, während sich einzelne Mutige das Vitamin D draußen und natürlich abholen. Und wenn mit zarten Sonnenstrahlen auch die ersten Sommersprossen als Vorboten des Frühlings auftauchen, soll man sich nicht einreden lassen, dass es sich hierbei um Hautschäden handeln könnte. Eher für gut genutzte Zeit. Wie immer, wenn sie im Licht verbracht wird. Eine Gelehrsamkeit, die um die Wichtigkeit von Sonnenschutz weiß, denn sowohl ein Sonnenbad als auch ein Sonnenbrand sind bei Wolken möglich.

Zwei sonnengeküsste und multiinstrumental begabte Kalifornier, genauer Ty Segall und Corey Madden, behaupten genau das und bringen als Duo unter dem Namen Freckle etwas Schimmer ins Grau. Obwohl Segall eine exorbitante Auswurfmentalität an den Tag legt und in Lichtgeschwindigkeit Musik veröffentlicht, gleicht kein Album dem anderen: Vergangenes Jahr erschienen neben einem übersteuerten und unwohligen Werk namens „Three Bells“ das eher meditative Album „Love Rudiments“ und nicht zuletzt ein Kinderlied über schlafende Tiere (auf dem Soundtrack von „Yo Gabba GabbaLand!“).

Freckle ist wie eine tektonische Melange der beiden unruhigen Geister

Segall ist ein Champion darin, Neubelebung, Reorganisation und Vertraulichkeit von Garagepunk in aktuelle Zusammenhänge zu bringen. Eine Haltung, die letztlich zu mehr Verbundenheit mit seiner Musik führt.

Madden, der mit der Psych-Pop-Band Color Green ebenfalls in der „Fuzzy-and-Twangy“-Szene Kaliforniens umtriebig ist, hat 2024 mit „Taste the Hour“ sein Solodebüt veröffentlicht und setzte darin auf feinsinniges Songwriting und filigrane – aber nicht minder präsente – Gitarre. Freckle ist wie eine tektonische Melange der beiden unruhigen Geister, eine intensive Mischung verschiedener Gesteine – so wie sie in den Küstenregionen von Kalifornien ansässig sind – lodernd und chaotisch.

Freckle bewegt sich ähnlich divergent und vereint diverse Stilistiken, Genres und Rhythmen: harmonischer, hippiesker Folk („I Don’t Know What I Need“), ausgelassene und störrische Kloppereien („I Don’t Know What I Need“, ja genau) sowie jazzige Jack Kerouac-Beatpoeten-Taktverschiebung („Tea Brush Millipede“).

Ungeahnte Leichtigkeit

Trotzdem: Das bedeutsame und immer dichte Spiel Segalls findet nach experimentelleren Alben mit dem Projekt Freckle wieder etwas zurück zu den First Taste. Im Gegensatz zum Titel vermittelt der Song „Heavy“ ungeahnte Leichtigkeit – die Instrumente sind derart im Laissez-faire gespielt, als würde man durch einen 70er-Jahre-Filter inmitten einer Wüstenlandschaft in einem Kinderbecken planschen.

„Who’s Sitting On the Moon“ beginnt ebenso sorglos, Segall tönt beruhigend, als der Einsatz von Maddens Gesang genau das ablöst. Anfänglich wie ein brummendes Störgeräusch macht sein Bariton den Song zu einer der Wunderlampen des Albums – bestärkt durch den Segall’schen Gitarrenlick: Man kann nicht anders, als unmittelbar an David Bowies „Space Oddity“-Motiv zu denken. Bowie war primär gar nicht an der Mondlandung interessiert, sondern betrachtete den Mond als Metapher für Isolation.

Auch wenn Maddens Anteil am Projekt rudimentär erscheint, ist es wesentlich seine antagonistische Performance, die Segalls Darbietungen größere Aufmerksamkeit verleiht: Beinahe zerbrechlich wirkt das sonst so unerschrockene Universalgenie, wie beim Auftaktsong „Paranoid“. Bargeräusche, Klimperklavier, Torkelgesang: Gerade als das Schlagzeug einsetzt, endet mit „That’s All We Wrote“ nach knapp 30 Minuten auch schon dieser fidele All-Inclusive-Urlaub. Seine Musik betört mit ihrer Mischung aus Disengagement von Struktur und atemlos-hektischer Phrasierung – und dazu ohne jeden Sonnenstich.

Das Album

Freckle: „Freckle“ (Drag City/Rough Trade)

Wer jetzt immer noch Nachschub braucht, kann sich auf YouTube übrigens Tutorials zu Gemüte führen, in denen idiotensicher erklärt wird, wie Sommersprossen aufgemalt werden.

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