zwischen den rillen: Ein kosmisches Hohelied auf das Albumformat
Knifflige Aufgabe, den kanadischen Komponisten Mort Garson und den deutschen Astronomen Johannes Kepler unter einen Hut zu bringen. Zumal Kepler bereits 1630 starb, also mehr als 300 Jahre bevor Garson, damals als Angehöriger der alliierten Streitkräfte 1945, deutschen Boden überhaupt zum ersten Mal betrat. Zu sagen hätten sich beide wohl wenig gehabt.
Diese Aufgabe muss nun der junge niederländische Musiker Jacco Gardner übernehmen und nutzt seine historische Chance, um die Lebenswelten der beiden Visionäre gewinnbringend miteinander zu verknüpfen. „Somnium“ heißt nicht nur das neue – und mittlerweile dritte – Album des Komponisten, der 2014/15 mit zwei Alben für Aufsehen sorgte, sondern auch der berühmte Roman von Johannes Kepler. Der bedeutende Gelehrte legte die Grundlage zur Berechnung der Planetenbahnen und lieferte viele weitere mathematisch-physikalische Errungenschaften sowie die Einführung der technischen Optik als Wissenschaft. Schon zu Studienzeiten begann Kepler die Erzählung „Somnium“. Wie der Mond sich um die Erde, aber die Erde auch um die Sonne dreht, so dreht sich hier alles um einen Traum, der den Erzähler (sogleich auch die Leser) auf eine Reise zum Mond schickt.
Top-10-Alben in den Niederlanden
Der Niederländer Gardner ist begeistert von „Somnium“, ein Sci-Fi-Roman avant la lettre. „Er fasziniert mich, denn Kepler schafft es, die Reise zu einer nicht-existierenden Welt – allein aus seiner Imagination heraus – zu beschreiben. Vieles von dem, was er sich vorstellte, ist tatsächlich eingetreten, wenn man ins All reist – und das obwohl die Gedanken schon 400 Jahre alt sind.“Jenes Faszinosum bedeutete gleich eine komplette Neuaufstellung des künstlerisch-musikalischen Projekts von Jacco Gardner. Die Alben „Cabinet of Curiosities“ und „Hypnophobia“ landeten in den Top 10 der niederländischen Charts, flashten aber auch im Rest der Welt HörerInnen. Gardners psychedelische Musik klingt nach den angetörnten Songs eines Syd Barrett und dem sanften Barock der frühen Bee Gees, nach LSD-Forschung – hier ein wenig Harpsichord, da eine kraftvolle Orgel, dazu Gardners sanft androgyne Stimme – und über allem thront perfekt-sitzender Hall.
Eine Klangreise in den Weltraum
Auch auf „Somnium“ blitzt manche Kompositionsidee wieder auf, zumeist findet man sich in einem ganz anderen Klanguniversum wieder – ohne jeden Gesang. Die Raumreise (kognitiver Natur) hat hörbar seine Spuren hinterlassen. Während nun die Triebwerke der Elon Musk’schen SpaceX-Raketen zielgenau Landungen ermöglichen, werkelt Gardner an seinem Sound.
Und damit kommen wir auch zu Mort Garson. Nach Kriegsende studierte der Kanadier ab 1945 an der Julliard School in New York und lernte dort den Synthesizer-Pionier Robert Moog kennen. Diesem kaufte er Mitte der Sechziger einen der Moog-Prototypen ab und experimentierte mit dessen Klangpalette. Zu höchsten Ehren: Garson spielte den Soundtrack zur Live-Übertragung der „Apollo 11“-Mission. „Die einzigen Sounds, die sich mit einer Reise ins All vertragen, sind die elektronischen“, erklärte Garson, schraubte immer weiter und seine Klänge wurden derweil verquerer und mysteriöser. Es folgten Konzeptalben über Pflanzen („Mother Earth’s Plantasia“), eine Schizo-Satire auf den Zauberer von Oz („The Wozard of Iz“) und eine abgedrehte Version des Musicals „Hair“ („Electronic Hair Pieces“). Neben aller Spintisiererei hat Garson Gefallen am Komponieren. Das jeweilige Konzept ist unmittelbarer Träger der „Handlung“ der Alben, die Musik spricht meist für sich, die Stücke haben eine Dynamik und – vor allen Dingen – steht das Albumformat im Mittelpunkt.
Dasselbe ließe sich auch über Jacco Gardners Album sagen, das als Zwölf-Stück-Reise konzipiert ist, und ein Hohelied auf die Möglichkeit des Albums „singt“; zu einer Zeit, in der Musik immer häufiger zu Fragmenten einer Cloud diffundiert und nicht als Grundlage eines konsistenten Werks rezipiert wird. „Somnium“ ist eine fesselnde, kosmische Umsetzung, die in einem durch gehört werden sollte. Immerhin möchte man am Ende der Reise ja auch wieder zu Hause landen. Lars Fleischmann
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