piwik no script img

zwischen den rillenDer Erleuchtung näher

Nightmares on Wax: „Shape the Future“ (Warp/Rough Trade)

George Evelyns Erinnerungen an seinen ersten Auftritt in Berlin sind in Trockeneisnebel getaucht. Das Tresor am Leipziger Platz, der berühmte Techno-Club der Postwendezeit, hatte gerade neu eröffnet. Sven Väth legte auf, und Evelyn, unter seinem Alias Nightmares on Wax. Seine selbst gebastelten Rave-Tracks wummerten durch den Tresorraum des alten Kaufhauses Wertheim. Sie feierten bis weit in den nächsten Tag hinein. „Ich glaube, DJ Hell war unser Fahrer“, erinnert sich Evelyn gut gelaunt. „Aber, was sich mir am stärksten eingeprägt hat: Wir standen abends um acht auf, gingen raus – und es gab nirgendwo was Anständiges zu beißen.“ Dröhnendes Gelächter. Der aus Leeds stammende Brite ist ein entspannter Gesprächspartner, selbst wenn er gerade fernab seiner Wahlheimat Ibiza im winterkalten London weilt.

Die Geschichte seines Projekts Nightmares on Wax (NOW) ist untrennbar mit dem Elektronik-Label Warp in Sheffield verbunden. Denn die zweite Veröffentlichung der Plattenfirma war die Single „Dextrous“ von Nightmares on Wax, von der Ende 1989 auf Anhieb 30.000 Exemplare verkauft wurden. Beinahe 30 Jahre später erscheint nun „Shape the Future“, wie immer, bei Warp. Evelyns neues Album zelebriert seinen digital aufgebohrten Dub und Downbeat-Funk angereichert um Vocals. So viele Gäste wie diesmal wirkten noch nie auf einem NOW-Album mit: Sänger wie der Londoner Andrew Ashong und Osmond Wright alias Mozez sind dabei, aber auch der in Neuseeland geborene Multiinstrumentalist und Sänger Jordan Rakei. Eingängigkeit ist für Evelyn nicht bloß eine Floskel. „Soul besteht zu 100 Prozent aus Feeling, es ist mehr als nur ein Gesangsstil“, kommentiert Evelyn die Ausrichtung seiner Gäste.

Clubgängerinnen und Sofasurfer haben die Tracks von NOW stets gleichermaßen geschätzt: Tracks wie „Les Nuits“, „Flip Ya Lid“ und „You Wish“ mit dem Gitarren-Sample von William Bells Soulsong „Private Number“ sind Evergreens. Funk, Jazz und Soul waren Evelyn stets nahe, jedoch: „HipHop hat mein Leben verändert. Dinge zu manipulieren, mit Platten zu spielen, das ist meine Basis.“ Der Einfluss jamaikanischer Sound-Systems machte sich auch im HipHop bemerkbar. Es ging um kreative Konkurrenz, Respekt. „Und um Selbstdarstellung“, erinnert sich Evelyn. „Alles drehte sich um Breakdancing, Rapping und Scratching.“

Bei den Solar City Rockers lernte der Teenager Evelyn seinen musikalischen Partner Kevin Harper kennen und bastelte mit ihm rumpelige Rave-Tracks. Anno 2018 ist das Klangbild deutlich behaglicher. „Typical“, das raffinierteste Stück des neuen Albums, beginnt mit verwehten Trompeten, ehe Reggae-Beats und Jordan Rakeis Stimme einsetzen: ein schmachtender und schunkelnder Soulsong. „Deep Shadows“ klingt mehr denn je nach R&B, das partytaugliche „Gotta Smile“ bollert deutlich Richtung House. Das Finale, „Othership“, verzichtet auf Beats und kommt dafür mit Gitarre und E-Piano der Erleuchtung näher.

Als Evelyn mit dem Deejaying angefangen hatte, besaß er nicht einmal Plattenspieler, dafür musste er zu seinem Kumpel John Halnon. „Er sammelte vor allem Gothic und Indie, und ich brachte HipHop und Reggae mit. Wir verbanden unsere Plattensammlungen, und er meinte: ‚This sounds like a nightmare – das ist ein Alptraum.‘ Die Initialzündung für den Namen Nightmares on Wax!‘ NOW – das entspricht genau meiner Philosophie.“ Hier und Jetzt – das mag auf seine schluffigen Late-Night-Sounds heute genauso wenig zutreffen wie vor zwei Jahrzehnten. Nightmares on Wax wird eher nicht die Zukunft des Pop prägen, wie im Titel versprochen, denn es ist zeit- und ortlose Musik, die in Berliner Kellerclubs ebenso gut funktioniert wie an Ibizas Stränden. Jan Paersch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen