zwischen den rillen: Krisenkreaturen: Les Rita Mitsouko und The The
IM SPERRMÜLL DES LEBENS
Einmal ist es eine nackte Glühbirne, die das Dunkel erleuchtet. Ein andermal fällt schummriges Licht aus einer roten Sixties-Deckenlampe, wie sie in einem zwielichtigen Bordell oder irgendeinem angesagten Club dieser Erde hängen könnte. (Fast) das gleiche Motiv ziert „Naked Self“, das neueste Werk des Ein-Mann-Projekts The The, wie auch „Cool Frenesie“, das neue Album von Les Rita Mitsouko. Seltsame Koinzidenz? Oder einfach nur eine nahe liegende Metapher, die ausdrücken soll: In dieser Funzel brennt noch Licht!
Beide waren mehrere Jahre weg vom Fenster, der Brite und die beiden Franzosen. Das ließe auf eine Krise schließen, wenn, ja, wenn beide nicht ohnehin schon immer als Krisenkreaturen gegolten hätten. Les Rita Mitsouko, Erben des französischen Punks, waren die freundlichen Neurotiker aus dem Nachbarland. Ein Paar, das Flohmarkteleganz und Exaltiertheit kultivierte und dessen Sängerin Catherine Ringer nervös-hysterische Popchansons sang, eine erträgliche Nina Hagen mit französischem Akzent.
Matt Johnson dagegen war der sympathische Psychopath, der sein Leiden an der Welt mit zusammengebissenen Zähnen artikulierte, freundlich wie eine Axt und so zynisch wie eingängig in den Refrains. Beide haben die Achtzigerjahre erträglicher gemacht.
Les Rita Mitsouko melden sich fröhlich pfeifend zurück. So beginnt „Cool Frenesie“, und mit einem hektischen Billig-Beat, der wie ein überdrehtes Aufziehmännchen daherwackelt. Catherine Ringer mag zwar jetzt eine „femme de moyen age“ sein, wie ein Titel lautet, eine Frau mittleren Alters, aber von Midlife-Crisis ist nichts zu spüren: Gut gelaunt scheppert und fiepst der Song, und die Trompete klingt wie lustig auf dem Kamm geblasen.
Während die Geräte schubbern, jauchzt und jodelt Catherine Ringer wie gehabt. Wenn sie nicht gerade kiekst und flötet und sich in Pirouetten um die hübschen Melodien schraubt, die sie mit ihrer Band aus Keyboards, Synthies und Drum-Machines quetscht. Alles klingt, als hätte jemand ein paar Mal gegen eine Jukebox getreten, die nun mit überhöhter Geschwindigkeit musikalischen Sperrmüll ausspuckt, und im Duett („Dis-moi“) empfehlen sich Catherine und Fred glatt als die besseren Jane Birkin und Serge Gainsbourg.
Ein neues Album einer einstigen Lieblingsband hat immer etwas von dem Wiedersehen mit einer Exfreundin nach langer Zeit: Vertrautheit stellt sich schnell ein, aber das Kribbeln fehlt. Doch Les Rita Mitsouko haben sich gut gehalten, besser als Blondie. „Les histoires d’amour finissent mal“, sangen sie einst, „Liebesgeschichten gehen schlecht aus“, in der Regel. Diese immerhin nicht.
Wo Les Rita Mitsouko verspielt klingen, wirken The The verbissen. So springteufelfrech wie „Cool Frenesie“ den Hörer mit dem ersten Ton anspringt, so diffus beginnt „Naked Self“: Aus einer Geräuschkulisse schält sich ein bedrohliches Brummen, und ein schleppender Beat kriecht wie ein Monster unter einem Gullydeckel hervor. Aber es ist nur ein geprügelter Hund: Matt Johnson scheint die Übersiedlung in die USA nicht gut getan zu haben, aus dem zornigen jungen Mann ist ein zorniger alter Sack geworden. Weltekel, Angst, Einsamkeit, Hoffnung, Verlangen – Matt Johnson wälzt weiterhin große Themen. Wie seit den Tagen von „Soul Mining“ schürft er im Stollen seiner Seele, fördert aber nur noch Banales zu Tage. „My life is halfway through, and I still haven’t done, what I’m here to do“, jammert er auf „Soul Catcher“. Kann jemand dem Mann helfen?
Selbst seine Kapitalkritik in „Global Eyes“ kommt seltsam uninspiriert daher: „Market force is the new dictator“, weiß er und prophezeit uns allen den „Kentucky Fried Genocide“. Langatmig, lärmig und ohne Charme, wirkt die ganze Platte so nackt und trostlos wie ein TV-Gerät mit eingeschlagenem Bildschirm.
Matt Johnson klampft abgekämpft vor sich hin und nölt und näselt sich durch das Dutzend Songs, als wäre es ihm eine Last. Dann lässt er die Gitarren krachen, setzt das Studio in Brand und räumt am Ende den Schutt mit dem Kettenpanzer zur Seite. Psychokiller, qu’est-ce que c’est? DANIEL BAX
Les Rita Mitsouko: „Cool Frenesie“ (Virgin) The The: „Naked Self“ (Nothing/Universal)
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