zwischen den rillen: HipHop, Hollywood und Hongkong: Aaliyah
Einmalig verstolpert
Es gibt zwei Arten von Schallplatten: lange und kurze, Alben und Singles. Album, könnte man diese These fortsetzen, steht vor allem für Content, während Single vor allem für den Videoclip steht, für die visuell-akustische Darstellungskunst. Vielleicht ist es vor allem ein Problem des Formats, das einen die neue Platte von Aaliyah etwas unbefriedigt zurücklässt: Aaliyah ist eine Singles-Künstlerin, und man hört ihr Album immer wieder auf die Frage hin: Ist er das, der Knaller? Oder das? Oder das?
Eigentlich sieht das Anforderungsprofil in der afroamerikanischen Popmusik gerade anders aus. Gefragt sind Alleskönnerinnen, Frauen, die nicht nur ihren Business under control haben, sondern auch noch ihre Songs selbst schreiben, ein Instrument spielen oder sonst irgendwie Selbstbestimmung signalisieren – kurz Album-Künstlerinnen. Aaliyah dagegen kann man sich vorstellen, wie ein Fleisch gewordenes Interface für den heißen Scheiß. Cyber-R ’n’ B, Fashion, Kung Fu. Du willst es, sie hat es. Du willst es, weil sie es hat. Ein Interface mit Gucci-Sonnenbrille, das von jeder Litfaßsäule blickt. Nicht dass man genauer definieren könnte, wofür sie eigentlich genau steht – da, wo sie ist, ist vorne. Nicht dass sie irgendwelche Ambitionen hätte, selbst Songs zu schreiben oder irgendwie anders in den kreativen Prozess einzugreifen, es reicht ihr, darzustellen und zu performen.
Allein quantitativ ist ein Album allerdings schon mehr als eine Single, und so wartet man seit zwei Jahren darauf, dass endlich jene Platte erscheint, die einlöst, was „Are You That Somebody“ versprach, jene Single, die Timbaland für sie produzierte, die ein hochabstraktes Beatgerüst mit einer ganz einfachen Melodielinie verband und wieder einmal alles umwarf, was man bis dato für machbar hielt. Die Platte, die die Qualität der Hitsingle über die Albumlänge transportiert. Aaliyahs Karriere beginnt, wie könnte es anders sein, in der ersten Klasse. Da muss sie in einer Schulaufführung einen Satz sagen. Von diesem Augenblick an weiß sie, die Bühne ist ihre Bestimmung. Den lieben langen Tag singt sie, bewirbt sich bei Talentshows, das übliche Programm eben – nur dass Aaliyahs Onkel mit der Souldiva Gladys Knight verheiratet ist und eben jene Gladys Knight Aaliyah im Alter von elf Jahren auf die Bühne bittet, um mit ihr ein Duett zu singen.
Eben jener Onkel ist auch Manager von R. Kelly, der dann 1994 „Age Ain’t Nothing But A Number“ produziert, Aaliyahs Debütalbum. Sie ist vierzehn. Pikanterweise schien Alter allerdings doch etwas anderes zu sein als eine Nummer; als nämlich das Gerücht entsteht, Aaliyah und R. Kelly hätten geheiratet, entfernt ihre Familie sie aus seinem Umfeld. Was damals genau passierte, ist bis heute umstritten und gibt noch immer zu so mancher Spekulation Anlass. Alle Beteiligten weigern sich bis heute, der interessierten Öffentlichkeit Details mitzuteilen. Aaliyah geht ihren Weg, besucht eine Schule für Performing Arts, wo die Plattenmillionärin mit Bodyguard in der Klasse sitzt, und bringt ihr zweites Album heraus.
All das wäre nun noch nicht so ungewöhnlich. Es wäre ein weiteres Drama eines begabten Kindes, das älter wird, anfängt zu schauspielern und Zentrum eines hochflexiblen Entertainment-Familienbetriebs ist, mit ihrem Onkel als Chef ihrer Plattenfirma, ihrem Cousin als Produzenten, ihrer Mutter als Managerin und ihrem Bruder als Berater – wäre nicht „Are You That Somebody“ herausgekommen und im vergangenen Jahr „Try Again“ nachgefolgt. „Try Again“ war eine Auskopplung aus dem Soundtrack von „Romeo Must Die“, einem Film, in dem Aaliyah die weibliche Hauptrolle spielte, und erweiterte das Spektrum des Singlehits noch einmal: Aaliyah war nun nicht mehr nur die Verkörperung all der Popstar-Sehnsüchte. Wenn sie von ihrem starken Filmpartner Jet Li in Kampfszenen als Waffe durch die Luft gewirbelt wurde, verband sie vielmehr HipHop und Hollywood und Hongkong.
Im Grunde gibt es keinen Grund enttäuscht zu sein, „Aaliyah“ ist genau so geworden, wie man es hätte prognostizieren können.
Einige Stücke sind von Timbaland produziert und haben wieder diese einmalige Mischung aus verstolperten Beats, die ohne den kinderliedhaft-einfachen Gesang wahrscheinlich unhörbar waren, so aber millionenkompatibler Pop. Einige der anderen Stücke haben sogar einen leichten Musical-Appeal, was ihnen sehr, sehr gut steht. Allein: Noch ist es nur ein Album und keine Ansammlung von bildgestützten Singlehits. Man sieht Aaliyah nicht. Man hört sie nur.
TOBIAS RAPP
Aaliyah: „Aaliyah“ (Blackground Records/Virgin)
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