zwischen den rillen: Music is my first love: Alicia Keys und Bilal
Mit Auszeichnung bestanden
Über Neosoul wird viel und gerne spekuliert: Ist er die Rückkehr des Künstlersubjekts in die afroamerikanische Musik? Was hat es wohl zu bedeuten, dass ausgerechnet die handwerklichen Fähigkeiten, das Beherrschen von Instrumenten und Songwriting wieder im Mittelpunkt stehen, nachdem die letzten Jahre vor allem im Zeichen der Digitalisierung standen? Wichtige Fragen. Und wer wollte nicht wissen, was das eigentlich alles zu bedeuten hat, was aus den Boxen der Black-Music-Abteilungen der Kaufhäuser dringt? Eins gerät über all diesen Spekulationen allerdings in den Hintergrund: wie es überhaupt dorthin geraten ist.
Versuchen wir uns doch einmal vorzustellen, wie ein Mann wie Clive Davis denkt. Ende der Sechziger hatte er die verschnarchte Pop-Abteilung der Plattenfirma Columbia zu einem der profitabelsten Unternehmen des Business gemacht, indem er nach dem Festival von Monterey Künstler wie Janis Joplin und Santana einkaufte, die noch billig zu kriegen waren. Später entdeckte er Bruce Springsteen. In den frühen Achtzigern übernahm er die Plattenfirma Arista und landete seinen größten Coup: Er entdeckte Whitney Houston.
Dieser legendäre Hitman ruft nun auf seine alten Tage noch einmal zur Attacke mit der Gründung eines neuen Labels, J Records. Sein Vorgehen ist das gleiche wie immer. Davis schaut sich um, merkt, dass dieser handgemachte, selbst geschriebene Soul die kommende Musik sein wird, schickt seine Leute los, tigert selbst durch die New Yorker Clubs, und irgendwann wird er fündig. Da ist dieses Mädchen, Alicia Keys. Sieht super aus, ist extrem talentiert und ehrgeizig. Seit ihrer Kindheit hat sie Klavierunterricht, ist nun auf einer School for Performing Arts und lernt dort singen, komponieren und arrangieren. Davis nimmt sie unter Vertrag und gibt ihr die Zeit, die sie braucht, um ihr Debüt aufzunehmen. Drei Jahre wird es dauern. Währenddessen kümmert er sich darum, dass sie schon ein wenig bekannt wird, bringt eins ihrer Stücke auf dem „Shaft“-Soundtrack unter und sorgt dafür, dass man ihren Namen schon mal gehört hat. Dann kommt „Songs In A Minor“ heraus, schießt auf den ersten Platz der amerikanischen Verkaufscharts und hält sich dort mehrere Wochen.
Ganz ähnlich entsteht „First Born Second“ von Bilal. Fa und Damu Mtume, die zwei Betreiber des kleinen New Yorker Labels Moyo Entertainment, schauen sich in Philadelphia um, und in einem Barbershop drückt ihnen ein 14-Jähriger ein Demotape in die Hand. Sie bleiben in Kontakt, holen Bilal wenig später nach Brooklyn und platzieren ihn im Umfeld von D’Angelo und Erykah Badu, während er gleichzeitig ein Konservatorium in New York besucht. Auch Bilal taucht zunächst als Gastmusiker auf Platten anderer Künstler auf, singt für den Rapper Common, spielt bei D’Angelo mit, produziert ein Stück für Erykah Badu.
Nun sind die beiden Platten also draußen und bei aller Perfektion, bei all der glänzenden Schönheit ihrer Stücke übersieht man fast das Wichtigste. Sowohl Alicia Keys’ „Songs In A Minor“ als auch „First Born Second“ sind vor allem eins: Gesellenstücke. Es sind beides Platten, mit denen zwei 21-Jährige ihre Ausbildung beenden. Es sind Platten, die vor allem aus der Beschäftigung mit Musik entstanden sind. Das Lebensgefühl oder die Erfahrungen, die sich hier vermeintlich spiegeln, sind vor allem all den Musikstilen entliehen, die bei Alicia Keys und Bilal in den vergangenen Jahren auf dem Lehrplan standen. Wenn man Bilal zu einem Interview vor sich hat, ist er so verschüchtert, dass er kaum anderes herausbringt als ein höfliches „Ja“ oder „Nein“. Wenig später steht er auf der Bühne, spielt halbakustische Variationen der Stücke seiner Platte, und dem Publikum bleibt wenig mehr als einfach nur noch „Ja“! zu rufen.
Diese beiden Künstler stehen gerade erst am Anfang. Trotzdem klingt Alicia Keys schon jetzt wie eine Mischung aus Roberta Flack und Aaliyah. Und Bilal wirkt wie ein Morphing aus Prince, Marvin Gaye und Miles Davis. Man wagt sich gar nicht vorzustellen, wie sie sich in ein paar Jahren anhören werden. TOBIAS RAPP
Alicia Keys: „Songs In A Minor“ (J Records/BMG); Bilal: „First Born Second“ (Moyo/Interscope)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen