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zwischen den rillenZurück zur Natur: Pulp schnitzen sich ein Alterswerk

Sein Freund, der Baum

Eine Band steht im Maisfeld. Sie guckt ganz entschieden missmutig aus der Wäsche, wie bestellt und nicht abgemäht. Diese Band ist Pulp, und das Foto ist im Booklet des neuen Albums „We Love Life“ abgebildet.

Eine Überraschung ist das naturverbunden inszenierte Bildnis allerdings nicht: Wer „This Is Hardcore“ kennt, ihr vorhergehendes Werk, der konnte es zumindest ahnen: Jarvis Cocker, Sänger und elegant-schlaksiger Vorturner von Pulp, mag und macht zwar gern Musik. Sein Dasein als Popstar kann er allerdings zunehmend weniger verknusen. „I am not Jesus though I have the same initials – I am the man who stays at home and does the dishes“, sang Jarvis Cocker auf dem Meisterwerk von 1998. Wenn sich also überhaupt erlösende Normalität findet für einen wie Jarvis Cocker, dann im Abwasch.

Wie aber nun weiterleben mit dem eigenen Status? Und: Gibt es überhaupt etwas Echtes im falschen Leben des Popstars? Ja, haben Jarvis Cocker und die Seinen entschieden: die Natur. Da sind die Unkräuter, durch die man schweifen kann: „Weeds“ und „Weeds II“ heißen die Songs dazu. Da sind die Bäume, die Sauerstoff spenden: Denen wird in „The Trees“ gehuldigt. Und natürlich schwirren in der Natur auch die putzigen Vögel herum: „The Birds in Your Garden“.

Zum 1-A-Landei mutiert Jarvis Cocker indes nicht: Für ihn ist die Natur bloß die Mutter aller Spezies, sie steht für das Sinnbild menschlicher Beziehungen, sie ist Metapher für die Lust und Last und mit der Liebe und muss herhalten, wenn es zu zwischenmenschlichen Vereisungen kommt. Das ist beleibe alles andere als neu, aber schön krude erzählt. „Yeah, the trees, those useless trees; they never said that you were leaving“, leidet Jarvis Cocker. Und weiter: „I carved your name with a heart just up above – now swollen, distorted, unrecognisable; like our love.“ Eine hormonell bedingte Liebesschnitzerei, die nicht nur die Rinde des Baums schwer beschädigt hat. Ähnlich waidwund gibt sich Jarvis Cocker in Song Nummer sieben: In „The Birds in Your Garden“ weisen die Vögel den Weg zur Herzdame, Zaudern gilt nicht: „You know it’s now or never.“ Eine Maxime, die nicht zuletzt auch in „Wickermann“, einem strammen achtminütigen Song, gilt. Da wird übers Leben an und für sich und die Umwelt im Besonderen gemurmelt, gelitten und sinniert – und am Ende entscheidet die Natur die Geschicke des Menschen: „Whereever the river may take me.“

„We Love Life“ ist die konsequente Weiterentwicklung von „This Is Hardcore“: Das verklärte Popstargehabe und jedwede Überhöhung fällt auf dem neuen Pulp-Album endgültig der Sense zum Opfer. Fuck Glamour – zurück zur Natur heißt hier auch: wenn schon nicht die ausschließliche Konzentration aufs Wesentliche, dann zumindest auf wesentlich weniger. In diesem Fall heißt das: Beziehungen. Dass Scott „The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore“ Walker mit „We Love Life“ sein Produzentendebüt gibt und den Sound für Pulp-Verhältnisse – und nur für die – dezent reduziert, ist eher eine Marginalie für Experten. Aber eine, die schön klingt: Selbst orchestral Ausuferndes und die hypnotisierend schwelgerischen Streicher wirken selten kontrolliert. Was erfreulicherweise jedoch nicht heißt, dass Pulp nicht hier und da wie gehabt mit Pathos klotzen.

Was aber nun ist „We Love Life“ noch? Der Geniestreich von Menschen, die stracks auf die 40 zugehen? Der Prototyp eines viel zu früh erschienenen Alterswerks? Möglich ist beides. Unstrittig ist für den Moment nur, dass ein Pence eines jeden im Vereinigten Königreich verkauften Albums an einen Fonds geht, mit dessen Geldern die Anpflanzung von Bäumen finanziert werden soll: Jarvis Cocker als Petra Kelly.

Und irgendwie steht er gleichzeitig auch in der Tradition der Schlagerikone Alexandra. Mit dem Unterschied, dass „Mein Freund, der Baum, ist tot“ ab sofort verboten ist, da ist Jarvis Cocker vor. MARTIN WEBER

„We Love Life“ (Island)

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