zwischen den rillen: Schon wieder ein Rock ’n’ Roll-Erlöser: Andrew W. K.
Nass, stumpf, gut
Statt dem obligaten „Parental-Advisory“-Sticker müssten auf Andrew W. K.s Album „I Get Wet“ Warnungen des Popministers stehen: Vorsicht, diese Musik verursacht Kopfschütteln und Kreislauferkrankungen. Oder: Vorsicht, dieser Musiker steht unter dem Verdacht, ein ausgeschlafener Hype zu sein. Und: Vorsicht, wer hier nicht sofort zugreift, könnte später als Depp dastehen.
Schuld daran hat der britische NME, der Ende Oktober Andrew W. K. in alter Tradition auf sein Cover hob, bevor dieser überhaupt Nennenswertes veröffentlicht hatte. Das aber gleich zweimal in einer Ausgabe: Weil er so gut, weil er, so der NME, der Erlöser des Rock ’n’ Roll ist. Schnell zogen alle anderen Medien nach, sodass auch der Plattenfirma nichts anderes übrig blieb, als die Veröffentlichung von „I Get Wet“ um Wochen vorzuziehen und mit Andrews Konterfei schon an Heiligabend Maulaffen feilhalten zu gehen. Lange, fettige schwarze Haare, Blut, das ihm von der Nase über Lippen und Kinn den Hals runterläuft und ein Gesichtsausdruck kurz vorm Wegtreten, so blickt Andrew W. K. von seinem Albumcover. Ungefähr so klingen auch seine Songs: so stumpf nach vorn, dass es wehtut, so Hardrock, so Party. „Party Hard“ oder „It’s Time To Party“ heißen diese Stücke, die in Form hell klingender, jubilierender Pianoläufe immerhin einen musikalischen Bonus aufweisen und deswegen in Ansätzen als glamourös durchgehen können.
Folglich besagt auch die Star-Bio, dass Andrew W. K., Kind weißer Mittelstandsamerikaner aus Michigan, erst viele Jahre das Pianospiel erlernte, bevor er über New York in Florida landete und erste fulminante Auftritte in Starbucks-Filialen hatte. Nach kleineren Tonträgerveröffentlichungen wurde er schließlich von Dave Grohl entdeckt und als Support für eine Foo-Fighters-Tour engagiert.
Wie es die Titel der Songs versprechen, ist Andrew W. K.s Rock ’n’ Roll Musik für den Augenblick, für den schnellen Spaß, das schnelle Glück. Inklusive einiger Haken, denn ausdauerend Partys zu feiern hat auch unangenehme Folgen wie Nässe („I Get Wet“), Erbrechen („Party Til You Puke“) oder gar den Tod („Ready To Die“).
Für sich selbst würde Andrew W. K. mit seinen 22 Jahren wohl die totale Geschichtslosigkeit in Anspruch nehmen wollen, das totale Nowtro. Viele andere wiederum, die nur ein bisschen älter sind, fühlen sich an die Manic Street Preachers erinnert, die mit ihrem ersten Album und einem in den Arm geritzten „4 Real“ ihren Einmarsch ins britische Königreich hatten (aber, klar, ungleich brillantere Songs geschrieben haben); oder an die Grebo-Fraktion um Bands wie Gaye Bikers On Acid, für die ebenfalls Schlampigkeit, Dreck und Rock ’n’ Roll erste Musikerpflicht war (und die, klar, die besseren Songs hatte). Oder an Iggy Pop und sein „Real Wild Child“ (das anscheinend die Vorlage für „Party Hard“ abgegeben hat und, klar, viel besser ist). Oder an Zodiac Mindwarp, Sigue Sigue Sputnik und viele mehr.
Namen, Bandnamen überhaupt, ein Hype hin, tausend Vorgänger her, von ungefähr kommt die Aufmerksamkeit für Andrew W. K. jedoch nicht. Der erste Erlöser des Rock ’n‘ Roll neuerer Zeit ist er nämlich gar nicht, waren doch da im Sommer schon die jungen und gut aussehenden Strokes, die viele Herzen im Sturm eroberten mit Songs, die in die späten Sechziger und Siebziger New Yorks wiesen, file under Lou Reed oder Television. Kurze Zeit später retteten die White Stripes aus Detroit den Rock ’n’ Roll mit einem Garagensound, wie ihn Jonathan Richman 1974 nicht besser hinbekommen hat.
Andrew W. K. ist da nur der dritte, vielleicht in seiner Simplizität konsequenteste Erlöser. Auffällig aber ist, dass die musikalischen Ansätze der Strokes, der White Stripes sehr unterschiedlich sind und trotzdem nichts mit dem wertkonservativen Rock zu tun haben, der sonst gerade die USA regiert von Creed über Kid Rock bis Nickelback, von Staind über Linkin Park bis Incubus; genauso auffällig, dass sich nicht nur Lederjacken und -nacken auf diesen neuen Rock ’n’ Roll einigen können, sondern auch die Freunde gepflegter elektronischer Musik von Peter F. Spieß bis Traum. Auf dass man es endlich mal wieder so richtig krachen lässt. Und auf dass auch ein Hype so seine Substanz hat.
Nur Andrew W. K. dürfte sich um solche Deutungen nicht scheren. Für ihn heißt es, sein Ding durchzuziehen. Seine Philosophie lautet: harte Arbeit, das Leben, die Welt, die Menschen und tun, was man tun muss. Was er nicht schätzt: Leute, die andere Leute daran hindern, ihr Ding durchzuziehen. Der Rest juckt ihn nicht am Ohrläppchen. Und wir? Wir freuen uns auf den nächsten ultimativen Rock ’n’ Roll aus den Staaten: Mit dem geht hier der Black Rebel Motorcycle Club Ende Januar an den Start.
GERRIT BARTELS
Andrew W. K. : „I Get Wet“ (Island/Mercury)
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