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zwischen den rillenLeidenschaftlich: Neil Young rollt für die Wahrheit

Einer muss es tun

Auf Neil Young ist Verlass. Beständig veröffentlicht er nahezu jedes Jahr ein neues Album, ohne sich im Geringsten darum zu scheren, ob dieses nun ein wirklich großer Wurf ist und die Rockmusik gar noch einmal revolutionieren kann. Oder ob es eben doch wieder nur ein solides oder nicht so solides Neil-Young-Album mehr ist. Selbstverständlich ist Neil Young auch zur Stelle, wenn die amerikanische Nation ihn braucht. Nicht zweimal ließ er sich bitten, als es kurz nach dem 11. September hieß, der Opfer zu gedenken und per landesweiter Fernsehandacht einen „Tribute To Heroes“ zu zollen. Da sang er allein am Piano „Imagine“, und Amerika war gerührt. Da unterstützte er Eddie Vedder an der Orgel, da intonierte er mit Willie Nelson, Mariah Carey und Tom Petty „America The Beautiful“, und Amerika war wieder ganz bei sich.

Damit aber nicht genug: Neil Young ließ es sich nicht nehmen, kurz nach den Anschlägen ein eigenes Heldenepos zu verfassen: den Song „Let’s Roll“, ein Tribut an die Opfer des United-Airlines-Fluges 93, die sich mutig den Entführern ihrer Maschine entgegenstellten. Ein unheilvolles Dröhnen, ein Handyklingeln, eine schleppende Gitarre. Dann die Ereignisse, dargestellt aus der Perspektive eines der Passagiere, „I got to put the phone down and do what we gotta do“, schließlich Youngs Statement dazu: „Let’s roll for justice, let’s roll for truth, let’s not let our children grow up fearful in their youth.“ Gerechtigkeit, Wahrheit, Liebe, Freiheit – Neil Young kennt kein Erbarmen, wenn es gilt, eherne Werte zu beschwören und dabei an die Jugend zu denken, gerade angesichts von Katastrophen wie der des 11. Septembers. Im Zweifelsfall stört es ihn dann auch nicht, als Reaktionär zu gelten und Zeilen im Repertoire zu haben, die aus den Notizbüchern von George Bushs Redenschreibern stammen könnten.

Das muss so und heißt ja noch lange nicht, dass Young nicht unterscheiden könnte zwischen richtigen und falschen Schulterklopfern. Ein kühler und rational denkender Kopf war er jedenfalls noch nie gewesen, eher ein starr- und eigensinniger. Vor allem aber immer ein sonderbar Liebender, ausgestattet mit so manchen seherischen Fähigkeiten. Logisch, dass das neue Album, auf dem jetzt auch „Let’s Roll“ gelandet ist, als „kontroverser“ Song „Are You Passionate?“ heißt. Auf dem Cover sieht man eine rote Rose und die verblichene Fotografie eines Liebespaares auf einem Tarnanzug liegen – das kann so was wie die Beschwörung der Liebe in den Zeiten des Krieges bedeuten. Oder die Beschwörung der Liebe überhaupt. Vielleicht auch den Abschied vom Rocken in der freien Welt. Das kann aber auch gar nichts bedeuten.

Neil Young liebt es, im Vagen zu bleiben, die unterschiedlichsten Interpretationen seiner Songs zuzulassen, auf dass sich die verzweifelt Liebenden und die sehnsüchtig Trauernden, die Unterdrückten und die Alten und die Freiheitsliebenden jedweder Couleur sich in ihnen wiederfinden können. Wo aber die Welt ins Wanken gerät und nichts mehr wirklich wahr ist, muss so eine Frage doch gestellt werden: Are You Passionate? Leidenschaft ist schließlich die Essenz, in der Liebe, im Rock, in der Arbeit, überall. So gehört sich das für Young, so hat er es mit seiner Musik immer gehalten (nicht umsonst sind jene Alben seine schwächsten, die seinerzeit vor allem dazu dienten, seiner Plattenfirma das Leben schwer zu machen).

Das schöne an dem neuen Young-Album aber ist, dass man ihm diesen unbedingten Willen zur Leidenschaft gar nicht so anhört. Eingespielt mit den Buddies von Booker T. & The MGs, mit Booker T. Jones, Duck Dunn und Steve Potts, sowie dem Crazy-Horse-Gitarristen Frank Sampredo, ist „Are You Passionate“ ein aufreizend laidbackes Album geworden, ja, ein locker swingendes geradezu. Natürlich wird an mancher Stelle Klage erhoben darüber, dass die guten alten Zeiten unwiderruflich vorbei sind, die Zeiten, in denen überall Liebe und Musik war; dass die glühenden Gefühle von damals erkaltet sind, dass die Welt zerstört wird und sich alles zum Schlechten verändert: „All those gangsters with their crimes, they make it look so good, we’ll blowing up the planet, just like an old neighborhood.“

Doch korrespondieren diese Klagen nicht mit allzu schwermütigen, bittersüßen und unzugänglichen Tönen in der Musik. Young selbst singt weniger jämmerlich und knödelig als kräftig zupackend, und auch die Balladen lassen sich entspannt an und fügen sich gut zwischen die vielen lässigen Rocker. Mitunter klingen die Gitarren, als würde Carlos Santana ihre Saiten zupfen, doch auch das soll wohl so: Wenn die Frage nach der Leidenschaftlichkeit nicht wirklich zufriedenstellend beantwortet werden kann, sollte es wenigstens ein paar Blumen regnen. GERRIT BARTELS

Neil Young: „Are You Passionate?“(WEA)

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