zwischen den rillen: The Flaming Lips verlassen die Ufer des Progrock
Wachgeküsst
Liebe oder Drogen, eines von beidem muss Wayne Coyne irgendwann ein Loch ins Bewusstsein gesprengt haben – ein Guckloch in die Weiten dessen, was alles musikalisch möglich ist und doch noch nie ermöglicht wurde. Vor vier Jahren traten seine Flaming Lips beispielsweise in Roskilde auf, ohne auf der Bühne zu stehen.
Stattdessen parkten zwölf akustisch aufgemotzte Kleinwagen dort, wo sich normalerweise die Massen drängen, als wärs der Halbstarkentreff auf einem provinziellen Aldi-Parkplatz. Dazwischen wuselte der Frontman der Flaming Lips mit grauem Vollbart, Clipboard und Megafon. Auf seine Anweisung hin drückten die Fahrer an den Stereoanlagen ihrer Autos die Play-Taste, auf voller Lautstärke, einer nach dem anderen. Was sie da abspielten, war entweder die Gitarre, der Bass, das Schlagzeug oder irgendein anderer Loop aus jenem konfusen Songmonster, das Coyne speziell für diese abseitige Aufführungsform komponiert hatte.
Zunächst klang dieses krude Konstrukt skurril und chaotisch, bis es allmählich in einen zäh fließenden Drone-Rock mündete, wie ihn damals Gruppen wie Mogwai oder Goodspeed You Black Emperor frei improvisierten. Es war eine mehr als schrullige Vorstellung, die zur Reflexion über die Architektur von Musik, ihre Vermittlung und die Rolle des Künstlers einlud, ein „Konzert“, das sein staunendes Rockpublikum auf eine Weise irritierte, die jeder documenta zur Zierde gereicht hätte.
Seit zwanzig Jahren treibt die Band aus Oklahoma City solchen Schabernack – meistens verdeckt, selten so offen akademisch wie damals in Dänemark. Deshalb kann es auch nicht verwundern, dass sie mit „Yoshimi Battles The Pink Robots“ inzwischen ihre losgelösten Harmonien nicht mehr in chaotischen Gitarrenkrach, sondern in elektronisch modulierte Songstrukturen einbetten. Auf dem barocken epochalen Vorgänger „The Soft Bulletin“ sah das alles noch ganz anders aus. Hier kleidete sich das existenzialistische Pathos, mit dem Coyne nach Kleinigkeiten wie Liebe, Hoffnung und dem Sinn des Lebens forschte, noch in das adäquat schillernde Kostüm des Progrock – Yes’ „Tales From Topographic Oceans“ auf Valium und Lachgas zugleich, nicht nur wegen eskapistisch ausladenden Titeln wie „In the Morning of the Magicians“ oder „Approaching Pavonis Mons By Balloon (Utopia Planitia)“.
Doch anders als etwa Archive, die gegenwärtig dafür gelobt und geliebt werden, dass sie exakt nach Pink Floyd zuzeiten von „Animals“ klingen, schießen die Flaming Lips eine ganze Salve an historischen Zitaten, vagen Bezügen und verwirrenden Andeutungen auf den Hörer ab. So ist „Yoshimi Battles The Pink Robots“ angeblich ein Konzeptalbum, das die leicht idiotische Geschichte eines japanischen Mädchens erzählt, welches böse Roboter bekämpft, die ihrerseits in Liebe zu Yoshima entbrannt sind. Vor diesem willkürlichen Tableau, zwischen blubbernden Computerbeats und akustischen Gitarren, können dann zu großen Harmonien die großen Dinge verhandelt werden: „You and me were never meant to be part of the future / All we have is now / All we’ve ever had was now / All we have is now / All we’ll ever have is now.“ Wer solches dichtet und ohne Augenzwinkern singt, der lehnt sich weiter aus dem Fenster, als es seriösen Musikern zuträglich ist. Manchmal wird, wie auf „Quadrophenia“ von The Who, ein Live-Publikum dazugemischt, manchmal meldet sich ein Robotor zu Wort wie Frank Zappas „Central Scrutinizer“ auf „Joe’s Garage“. Und eine Pause exakt in der Mitte des Albums markiert spielerisch die ferne Erinnerung, dass hier früher einmal die Platte gewendet werden musste.
In ihrer präzisen Lässigkeit, ihrer zerstreuten Konzentration klingt diese merkwürdig märchenhafte Musik fremd und vertraut zugleich. Ein schlechter Witz, so gut erzählt, dass man vor Rührung in Tränen ausbrechen möchte.
ARNO FRANK
The Flaming Lips: „Yoshimi Battles The Pink Robots“ (WEA)
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