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zwischen den rillenBeenie Man verlässt die Dancehall

Ein Quäntchen Restwahnsinn

Vielleicht liegt es daran, dass Beenie Man einer der intelligentesten Dancehall-Künstler Jamaikas ist. Wer ihn auf der Bühne gesehen hat, erinnert sich an einen energiegeladenen Dread im feinen Anzug – einen Künstler, der alle Spielarten des Dancehall aus dem Ärmel schütteln kann. Doch bei aller Bühnenpräsenz fragt man sich bisweilen, wo der technische Virtuose aufhört und wo der Künstler anfängt. Beenie Man erinnert an einen Schachgroßmeister, der sämtliche Züge im Hinterkopf hat – der weiß, dass alle Ideen schon gespielt wurden, und sich nun fragt, wie es aussehen kann, das „Weiter“.

Beenie Man ist kein Buju Banton, kein Sizzla, kein Capleton – Typen die ebenfalls im Pantheon der Dancehall stehen oder standen, die ebenfalls wissen, wie man mit scharfen Worten durch die Verhältnisse schneidet, die ihre Radikalität aber um den Preis einer verengenden Weltsicht erkaufen. Wo Letztere den Blick nach innen wenden auf der Suche nach religiöser Inbrunst, da tritt Beenie Man nach außen und beobachtet sich selbst, um fortan nicht mehr alles ganz so verbissen zu sehen. Ein sympathischer Standpunkt, und doch: Irgendwie gelingt es Beenie Man nicht, seine Kultiviertheit in überlegene Musik zu überführen.

Gerade die Abwesenheit von Skandalen aber gab wohl für seine US-Plattenfirma den Ausschlag, Beenie Man auch in den USA aufzubauen. Andere Stars aus Jamaika sagen notorisch Konzerttourneen ab, brüskieren das Publikum mit schwulenfeindlichen Äußerungen oder verwünschen in antibabylonischem Furor jene Welt, die eigentlich ihre Platten kaufen soll. Wer ohnehin Fan ist und sich mit den Verhältnissen auf Jamaika auskennt, mag da eine gewisse Nachsicht entwickeln. Sicher ist aber, dass Massentauglichkeit anders aussieht. Beenie Man dagegen ist sie zuzutrauen. Erst kürzlich betonte er in einem Interview, sich weniger als Botschafter zu verstehen denn als Entertainer.

So viel Dienstleistungsbewusstsein freut natürlich die Plattenfirma, die daraufhin für „Tropical Storms“ eines der größten Budgets locker machte, das je für die Produktion einer Dancehallplatte zur Verfügung stand. Das Kalkül ist einfach: Seit Beenie Man als Kinderstar Anfang der Achtzigerjahre seine erste Platte veröffentlichte, führte ihn ein nachhaltiger Weg in die erste Liga der hart umkämpften Dancehall-Welt. Mit „Who Am I“ legte er 1998 am Anfang des weltweiten Dancehall-Booms einen der bekanntesten Hits des Genres vor. „Many Moods Of Moses“, das zugehörige Album, wurde mit einem Grammy ausgezeichnet. Kurz: Beenie Man genießt in der Dancehall-Welt Respekt, und von hier aus kann man versuchen, was im Reggae und Dancehall seit Bob Marleys Tagen selten gelang: von den Black-Music-Charts in die Billboard-Charts aufzusteigen.

Der Zeitpunkt dafür ist günstig. Als Underground-Bewegung formiert sich seit rund zehn Jahren eine weltweite Dancehall-Community, die auch Mainstream-Künstler inspiriert und ihnen Chancen bietet. So inszenierte sich Shaggy auf „Hot Shot“ (2001) erneut als Loverman, vermengte seine Dancehall-Roots mit einem kräftigen Schuss R ’n’ B und schrieb damit eine der musikalischen Erfolgsstorys der vergangenen Jahre. Und HipHop-Größen wie Wyclef Jean und Lauryn Hill gaben schon als Fugees Konzerte, die den Ablauf eines jamaikanischen Soundclashs imitierten.

Doch so leicht es für einen arrivierten Popkünstler sein mag, Elemente des Reggae zu integrieren, so steinig ist der umgekehrte Weg: Ein Dancehall-Künstler, der im Mainstream Zeichen setzen will, braucht strategische Allianzen und überzeugende musikalische Konzepte. So gesehen, macht Beenie Man auf „Tropical Storm“ vieles richtig, um aus dem Zirkel immergleicher Dancehall-Formeln auszubrechen. Da wären die acidesk aufheulenden Telespielsounds auf „Bad Girl“ oder „Feel It Boy“, dessen Refrain eine Handreichung in Richtung R ’n’ B ist, eingesungen von Janet Jackson persönlich. Ein Quäntchen Restwahnsinn lässt „Miss L.A.P.“ ahnen, indem es einen mittelharten Dancehall-Teil mit einem lustig-verqueren R-’n’-B-Refrain verschraubt. Mit Reminiszenzen an Jungle und Garage-Breakbeat beginnt auch „Yaggo Yo“ hoffnungsvoll, will sich dann aber doch nicht recht zum Killertrack aufschwingen. Ähnliches gilt für „Fresh From Yard“, einem reduzierten Riddim, über den Beenie Man mit Lil’ Kim singt. Dieser Minimalismus hat Charme, bleibt aber unspektakulär. Was möglich ist, lässt Lady Saws druckvoller Gesang auf „Bossman“ ahnen, aber er bleibt eine Ausnahme.

Doch kann man Beenie Man vorwerfen, beim Würzen das Salz vergessen zu haben? Als wolle er seinen Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen, lässt er verkünden, er habe mit „Tropical Storm“ nie mehr gewollt als eine solide Partyplatte. So bleibt nur ein Vorwurf: Das Opener-Stück hätte nicht „Party Hard“ heißen dürfen. Konsequenter wäre „Party Soft“ gewesen. NILS MICHAELIS

Beenie Man: Tropical Storm (Virgin)

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