zwangsarbeiter: Keinen Aufschub mehr dulden!
Bitte jetzt keine Überraschung, kein geheucheltes Unverständnis in den deutschen Chefetagen. Dass die New Yorker Richterin Shirley Kram die Klage geschädigter jüdischer Bürger und deren Erben gegen eine deutsche Bankengruppe nicht abweisen würde – das war seit Ende Januar mehr als wahrscheinlich. Damals war das Gericht nicht der Empfehlung des Gutachters auf Abweisung gefolgt. Warum? Weil Richterin Kram das Fragezeichen zu dick war, das hinter der Bereitschaft der deutschen Industrie stand, die 1,4 Milliarden Mark aufzubringen, die bei ihrem Fünf-Milliarden-Anteil an der Zwangsarbeiterentschädigung fehlen. Dieser Zweifel wurde in der Zwischenzeit keineswegs ausgeräumt – umso skandalöser, da dank Anrechnungsmöglichkeiten bei der Steuer letztendlich nur 2,5 Milliarden gezahlt werden müssen.
Kommentarvon CHRISTIAN SEMLER
Das Stiftungsgesetz schreibt vor, dass alle Klagen gegen deutsche Firmen abgewiesen sein müssen, ehe mit den Zahlungen an die überlebenden Zwangsarbeiter begonnen werden kann – einschließlich der Klagen wegen Vermögensschäden gegenüber deutschen Banken und Versicherungen. Unsere Zeitung hat wie viele andere ebenso früh wie vergeblich davor gewarnt, die Ansprüche der Zwangsarbeiter mit Vermögensansprüchen gemeinsam zu verhandeln. Wir traten für „Entkopplung“ ein. Nicht aus Geringschätzung für die „Arisierungs“-Opfer, sondern weil den überlebenden Zwangsarbeitern die Zeit davonrennt. Aber jede Gedanke an eine Entkopplung scheiterte am Veto der Unternehmer.
Natürlich hätte die Richterin festlegen können, dass Ansprüche wieder aufleben, falls die deutsche Seite nicht in voller Höhe entschädigt. Aber Misstrauen ist für die Justiz nicht der schlechteste Ratgeber. Wenn es jetzt, nach dem Richterspruch vom Mittwoch, eine Haltung gibt, die auf keinen Fall toleriert werden kann, dann ist es die des Abwartens. Wer sich einen Rest von Schamgefühl bewahrt hat, darf die „biologische Lösung“ der Entschädigungsfrage nicht länger hinnehmen.
Deshalb muss der avisierte Auszahlungsbeginn an die Zwangsarbeiter im Frühjahr unbedingt eingehalten werden. Diese Forderung geht uns alle an, das heißt auch die Volksvertreter. Wenn erneuerter, verstärkter Druck auf die deutschen Unternehmen nichts ändern sollte, muss eben das Stiftungsgesetz, genauer: seine Rechtssicherheitsklausel, geändert werden. Sie war sowieso von vorneherein überflüssig und schädlich.
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