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zukunft des nahverkehrsCHRISTIAN MAERTINS über die Individualisierung des öffentlichen Verkehrs

Bahn-Autos und andere Zwitter

„Fahrt alle Taxi“ war der Titel eines Kommentars von Andreas Knie, Techniksoziologe an der TU Berlin, an dieser Stelle im Februar anlässlich des 100sten Jubiläums der Berliner U-Bahn. Die taz diskutiert aus diesem Anlass – immer samstags – streitwürdige Thesen zur Zukunft des Nahverkehrs. Zuletzt schrieb Weert Canzler über die hartnäckigen Schwierigkeiten beim Umsteigen vom Auto auf den ÖPNV.

Wer vom Schicksal des Nahverkehrs spricht, besiegelt dies gerne mit der Diagnose vom Verfall der Öffentlichkeit: Die Menschen sitzen lieber im eigenen Pkw als in kollektiven Großgefäßen. Zusätzliche Tramschienen haben in der Konkurrenz um Straßenraum gegenüber dem Autoverkehr schlechte Karten. Und nicht wenige Kritiker befürchten, dass der von der EU- Kommission angekündigte Wettbewerb im ÖPNV mit einem Abbau des Prinzips der öffentlichen Daseinsvorsorge und herben Qualitätsverlusten einhergehen wird. So berechtigt die Kritik ist, sie greift zu kurz. Sie klammert sich an eine strikte Entgegensetzung von privat und öffentlich. Entweder oder.

Tatsächlich handelt es sich um eine neue Unübersichtlichkeit. Überall entstehen neue Zwischensphären und Mischräume, von denen man kaum noch sagen kann, wie privat oder öffentlich sie eigentlich sind. Damit sind allerdings neue Möglichkeiten verbunden, auch in der Debatte um den öffentlichen Verkehr. Gerade der ÖPNV in seiner heutigen Form leidet daran, dass er nach einem veralteten Bild von Öffentlichkeit organisiert wird: Im Angebot beschränkt auf kollektive Massenverkehrsmittel, in der Bereitstellung auf öffentliche Eigenproduktion pur.

Alternativen bietet das schon länger diskutierte Leitbild: „öffentlichen Verkehr individueller, Individualverkehr öffentlicher gestalten“. Ein öffentliches Angebot verschiedenster und verknüpfter Verkehrsmittel kann die vielfältigen Mobilitätsbedürfnisse der Menschen besser bedienen als das duale System. Das Auto, Taxis ausgenommen, als Feind des öffentlichen Verkehrs blieb bei solchen Überlegungen stets außen vor. Gerade sein privater Besitz verführt jedoch zu einer dauerhaften, monogamen Beziehung, die bald alle anderen Verkehrsmittel unattraktiv werden lässt. Die Lösung könnte das ausgeschlossene Dritte sein: das öffentliche Auto. Die Deutsche Bahn AG überraschte jüngst damit, dass man mit der Bahn jetzt Auto fahren kann. Das bundesweite Angebot setzt auf die Zusammenarbeit mit den lokalen Carsharing-Unternehmen. Die waren bisher mit einer attraktiven Idee, aber wenig Ressourcen ausgestattet und sind auf dem Weg aus der Nische auf starke Partner angewiesen. Die Carsharer kooperieren zudem in über zwanzig Städten mit den lokalen öffentlichen Verkehrsunternehmen. Besonders erfolgreich ist man dort, etwa in Dresden, wo die Autovermiet-Dienstleistung offensiv und unter der Marke der etablierten Verkehrsunternehmen vertrieben wird.

In Berlin hatte die Idee keinen Erfolg. Die BVG und die Stattauto AG zögerten aus Unsicherheit darüber, ob das neue Angebot tatsächlich zugunsten oder nicht doch zulasten der eigenen Kernprodukte ausfallen würde. Eine solchermaßen attraktive und verlässliche Mobilitätsdienstleistung will erst einmal betrieblich organisiert werden. Schließlich muss sie sich mit den vom privaten Auto geprägten Verhaltensroutinen und Standards in Verfügbarkeit und Komfort messen. Das müssen und können die öffentlichen Verkehrsunternehmen nicht selber machen. Stattdessen ist nach geeigneten Partnern und Allianzen zu suchen. Für den ÖPNV selber geht es darum, Flexibilität, Innovation, Dienstleistungsdenken und Kundenorientierung überhaupt zu lernen und umzusetzen. Mit Outsourcing allein ist es nicht getan: Dass auch in BVG-Bussen private, billige „Lohnkutscher“ hinter dem Steuer sitzen, meint eher Sozialdumping als Effizienzsteigerung.

In anderen Bereichen öffentlicher Versorgung weisen internationale Erfahrungen auf Veränderungspotenziale im Wettbewerb hin. Bei geregelter Marktöffnung zeigt sich, dass gesteigerte Produktivität und Qualität nicht in erster Linie von der öffentlichen oder privaten Erstellung abhängen. Vielmehr ist entscheidend, dass die Anbieter um von der öffentlichen Hand bestellte Leistungen konkurrieren. ÖPNV-Anbieter müssen den Wettbewerb aber erst lernen.

Die EU-Kommission drängt auf eine Öffnung und mehr Konkurrenz bei der Vergabe öffentlicher Verkehrsleistungen. Gerade die deutsche Praxis wäre davon betroffen. Das Auto und kombinierte Verkehrsdienste sind auch hier im Spiel: Wer integrierte Angebote machen kann, ist der Konkurrenz voraus. Die ersten Verkehrsverbünde überlegen bereits die Einbeziehung des Autobausteins in die zukünftige Ausschreibungspraxis bei öffentlichen Verkehrsleistungen. Die öffentliche Hand könnte so für freien Zugang zu kollektiven wie individuellen Verkehrsmitteln sorgen. Private oder öffentliche Bereitstellung, individuelle oder kollektive Verkehrsmittel – das Plädoyer lautet: sowohl als auch!

Christian Maertins ist Diplom-Ingenieur für Umwelttechnologie und Mitarbeiter der „Projektgruppe Mobilität“ am Wissenschaftszentrum Berlin

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