zoologie der sportlerarten: PROF. HIRSCH-WURZ über den Bouler
Schweinchenjagd mit Kugel
Der Homo boulette ist kein Mensch für Grill oder Pfanne, sondern einer, der Kugeln wirft: stählerne Boules von gut einem Kilogramm Gewicht. Freizeitsportler sagen auch italienisch Boccia zum Boulespiel, Fachleute bevorzugen das Pétanque. Der Begriff stammt aus dem Provençalischen und heißt so viel wie geschlossene Füße. Ein Sport für Müßigsteher also.
Der homo boulette achtet streng auf sein Erscheinungsbild. Prinzipiell ist die Kleidung lässig, die Kopfbedeckung ruht in einem seit Generationen genau definierten Winkel von 17,89 Grad schief auf dem Sportlerschädel, in den Mundwinkel ist eine Gauloise betoniert, in der untätigen Hand balanciert der erfahrene Petankist ein Glas roten Weins oder einen Aperitif. Der Gang, so er nötig wird, ist gern schlurfend, um dem Gegner, der ähnlich schluft, eine tückische Gebrechlichkeit vorzutäuschen. Dann explodiert der Homo boulette. Und es macht – klack.
Man unterscheidet den Leger (Homo boulette softicus) und den Schießer (Homo boulette rumms, mancherorts auch: Homo boulette vehemens). Ziel ist eine kleine, oft farbige Holzkugel, das so genannte Schweinchen (Sus minimalis), mancherorts auch profan Sau genannt. Erstaunlicherweise muss gerade der Leger gewisse körperliche Voraussetzungen wie die Fähigkeit des Bückens mitbringen, denn er wirft außerordentlich gern aus der Hocke. Der Schießer schießt im Stehen aus der Hüfte. Wissenschaftliche Kollegen in Montpellier haben schon im 16. Jahrhundert den gesundheitlichen Nutzen bestätigt: „Es gibt keinen Rheumatismus oder andere ähnliche Leiden, die nicht durch dieses Spiel vereitelt werden können. Es ist für jede Altersstufe geeignet.“
Der Boulespieler als Ökonom seiner Kräfte, als Freund der Gesundheit und als Architekt seiner eigenen Zukunft. Schon als junger Mann, also mit 50 oder 65 Jahren, bereitet er sich auf seine sportlich aktive Greisenzeit vor. Wenn des Menschen Körper für große körperliche Anstrengungen wie etwa Golf längst zu gebrechlich ist, kann seine große Zeit im Kugelwerfen immer noch kommen.
Schon immer haben rundliche, handliche Gegenstände als Übungsgerät bei der Leibesertüchtigung gedient. Insbesondere der Franzose, und hier vor allem der Provençale, liebt seine Stahlkugeln so sehr, dass er sie immer wieder fortwerfen will. Viele große Kulturnationen haben versucht, das Spiel nachzumachen. Der Ostfriese nennt es Boßeln und kommt auch ohne lockende Sau viel weiter als der Franzose. Der anglophile Mensch ruft seine Kugeln Bowls und verwendet sie leicht abgeflacht, wodurch sie besser um Kurven kommen.
Jedem Franzosen ist natürlich klar, dass der Brite nur zu blöd war, die Kugeln richtig rund zu kriegen. Und ob le tommie wirklich (im 13. Jahrhundert) der Erfinder des Spiels „Große Kugel sucht die Nähe zu kleiner Kugel“ war? Auf jeden Fall haben sich, trotz Gutkurvigkeit und friesischer Weite, beide Konkurrenzvarianten nie so sehr durchsetzen können wie die frankophile. Auch der Eurotunnel hat daran nichts geändert.
Selbst in Deutschland wird geboult seit Konrad Adenauer, ein früherer Politiker, in Bad Godesberg ein paar Kugeln warf. Damit hatte er sich beim einstigen Erbfeind einschmeicheln können („deutsch-französische Freundschaft“) und dabei viele Gedanken gemacht, wie er Ssoffjettrussland, ein längst untergegangenes Land ohne Boulekugeln, austricksen konnte.
Am heftigsten gerät der Homo boulette beim Messen in Rage: Wer ist näher am Schwein? Nicht immer leicht zu erkennen. Dann beginnt ein Zeremoniell von höchster Gewissenhaftigkeit, der Kopf will wägend gewogen werden, das Gesicht in Zweifelsgeste eingelegt, dann ein Messband rausgeholt, angelegt, verglichen, schließlich heftigst diskutiert. Allerdings: Soweit in der Bouleforschung bekannt, hat man sich noch immer auf Millimeterentscheidungen geeinigt.
Weltmeisterschaften gewinnt immer ein Franzose, falls nicht gerade ein Wallone aus der ersten Boulekolonie Belgien einen großen Tag hat. Oder ein Tunesier oder Marokkaner eifrig gelernt hat. 1982 war ein Boulettenteam aus Monaco Pétanque-Weltmeister. Wahrscheinlich der einzige WM-Titel, den der Steuerbetrügerstaat von der Größe eines Schweinchens je errungen hat.
Wissenschaftliche Mitarbeit:
BERND MÜLLENDER
Fotohinweis:Holger Hirsch-Wurz, im besten Boule-Alter (101) und ordentlicher Professor für Humanzoologie am Institut für Bewegungsexzentrik in Göttingen
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