zoologie der sportlerarten: Prof. H. Hirsch-Wurz über den Exoten
Bobbeln mit Prinzen
Aus Anlass der winterlichen Weltsportbörse in Salt Lake City möchte ich heute auf das Phänomen des Homo Exoticus zu sprechen kommen. Diese Exoten betreiben sehr eifrig ausgerechnet die Sportart, die sie nicht können oder die ihnen herkunftsbedingt nicht zugetraut wird. Die sensationshungrige Öffentlichkeit liebt solche begabungsarme Körperbeweger, weil sich Putzigkeit, Bewunderung und Mitleid aufs Schönste vereinen. Stets taugt der Homo Exoticus für bunte Geschichten und als (allerdings vordergründiger) Beleg, dass es nicht nur um Leistung gehe beim Jugendweltmeeting. Wie schön.
Bei Winter-Olympia 2002 traten etwa der füllige und graugelockte Skeleton-Hero Panagiotis Voudouris (41) aus Griechenland auf, der die Eiswände tölpelig rasierte und in Zeitlupe über die Ziellinie holperte. Oder Viererbobs aus Neuseeland und von den Jungferninseln, die ihren früheren Exotenvorbildern aus Jamaica nacheiferten und neckisch umgekippt Richtung Ziel taumelten.
Und vor allem der australische Shorttracker Steven Bradbury: Er ist zwar als jahrelanger Weltcupteilnehmer nach strenger Defintion nur ein Nennexot, kam aber, weil alle Favoriten sowohl in seinem Halbfinale als auch im Finale so wunderbar deppert stürzten, derart kurios und staungesichtig zum ersten Wintergold seines Landes („Ich konnte doch nicht ahnen, dass gleich der ganze Pulk umfällt“), dass er den Titel des Homo Exoticus Honoris Causa tragen darf.
Berühmte Homini Exotici der Vergangenheit sind Eric Moussambani, der äquatorialguineaische Schwimmer von Sydney, der sich knapp in den Bereich des Sportabzeichens vorbrustelte. Davor war Eddie the Eagle zu Ruhm gekommen, der englische Schanzenspringer mit Kassenbrille. Dazu auch mal ein ungeschickt wedelndes Skihaserl aus Jordanien oder Reitersleut aus Ägypten, die kaum wussten, wo beim Zossen oben und unten ist (weil sie so oft abgeworfen darunter lagen). Auch Prinzen, gern aus Monaco, haben die Exotenszene im Eisröhrenbobbeln nachhaltig bereichert.
Das Auftreten des Homo Exoticus ist so regelmäßig wie merkwürdig. Auffällig: Es geschieht überall im Lebensraum der Sportler (also universell, weltweit), aber nie gleichzeitig überall (fehlende Universalität). Heißt: Wer hier Exot ist, kann da alltäglicher Langeweiler sein oder Superstar. Freilich nehmen wir durch unsere nationale Brille kaum zur Kenntnis, dass das Exotentum auch umgekehrt gilt. Etymologisch stammt der Begriff Exot aus dem Griechischen: von außerhalb des eigenen Kulturkreises stammend. Und schon sind wir bei einem der bekanntesten deutschen Exoten (Homo Exoticus Germanicae) mit Künstlernamen Hacklschorsch. Für beispielsweise Chinesen, Samoaner oder Nigerianer wäre H. der exemplarische Exot, weil sein befremdliches Tun (rückwärts liegend auf einem Flachgefährt freiwillig durch Eisröhren fliegen) keine kulturelle Entsprechung findet und jenseits des Alpenraumes wahrscheinlich millionenfach verlacht wurde. Es gibt auch landesinterne Exoten: Aktuell sind das deutsche Alpin-Skiläufer und die meisten Österreicher.
Auffällig, dass man der Exotenspecies gern Tiernamen gibt: Eddie the Eagle ist längst als Adler definiert, Moussambani wurde später zum Aal geadelt. Und Steven Bradbury heißt jetzt, danke New York Post, „Schildkröte auf Schlittschuhen“. Nur bei Hacklschorsch hat sich weder Schneekaiman noch Goldwolpertinger durchsetzen können. Wie mag der Chinese zu ihm sagen: Rasendes Weißwürstchen im Eisrand? Oder der Inder: Heilige deutsche Kufenkuh?
Vor knapp 30 Jahren noch galten Fußballer in den USA als ausgemachte Exoten. Fuckin’ crazy game lachten unsere amerikanischen Freunde und mussten sogar ein eigenes Wort finden, weil Football bei ihnen schon was anderes (für uns lange sehr exotisches) war. Also sagten sie Soccer. Heute sind die US-Frauen die besten Soccerinnen der Welt.
Wir sehen: Exotentum ist abstreifbar. Gut möglich also, dass irgendwann Jordanier die Slalompisten dieser Welt beherrschen oder die Pygmäen Mikronesiens Hochsprungweltrekorde aufstellen. Oder dass deutsche Fußballteams ihren nationalen Fluch des Exotismus („deutsche Tugenden“) abstreifen und ansehnlich spielen. So gesehen ist ein jeglicher Sportler immer irgendwo ein Homo Exoticus und kann diesen Titel jederzeit wieder loswerden. Das sportive Exotentum ist sichtweisenabhängig, stetig im Fluss und also auch – ein künstlich angerührter Quark. Was man auch an den gescheiterten Langlaufexoten Juanito Mühlegg (Spanien) und Stefan Raabici (Moldawien) sehen konnte.
Wissenschaftliche Mitarbeit:
BERND MÜLLENDER
Fotohinweis:Holger Hirsch-Wurz, 45, ist ordentlicher Professor für Humanzoologie am Institut für exotische Bewegungs-Exzentrik in Göttingen
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