piwik no script img

zahl der wocheRechenfehler statt Wirtschaftswunder

New Economy entzaubert

Wenn Volkswirte und Statistiker sich irren, regt das keinen groß auf. Wenn aber Politiker daneben liegen, gibt es großen Alarm, selbst wenn sie nur Volkswirte zitiert hatten. Groß war die Hektik, als Bundeskanzler Schröder nur noch von 1,5 bis 2 Prozent Wachstum sprach. Mehrere große Zeitungen hoben diese Nachricht empört auf den Titel. Nun ist das Wirtschaftswachstum schwer zu prognostizieren. Offenbar gilt das aber auch für historische Daten, wie wir diese Woche lernen mussten. Die offiziellen Statistiker der USA korrigierten jüngst ihre gesamten Angaben der vergangenen zehn Jahre über die Produktivität (den Ausstoß an Waren und Diensten pro Arbeitsstunde) nach unten. Demnach stieg die Produktivität der US-Wirtschaft in den Neunzigern nicht um 3,4 Prozent jährlich, wie bislang euphorisch gefeiert, sondern bloß um 2,6 Prozent.

Das sorgte freilich für wenig Aufregung, äußerte sich doch kein Politiker dazu. Dabei ist diese Korrektur ein weiterer fetter Nagel zum Sarg der New Economy: Die vermeintlich hohe Produktivität galt als das bestimmende Merkmal der so genannten Neuen Ökonomie. Während die Siebziger und Achtziger bloß einen Zuwachs von 1,4 Prozent zustande brachte, galten die 3,4 Prozent der Neunziger als Garant für ewiges und inflationsfreies Wachstum. Nie mehr Rezession, der alte Konjunkturzyklus sei tot, versprachen die Verfechter der New Economy – und das waren Ende der Neunziger fast alle wichtigen Ökonomen. Nun sind es also bloß 2,6 Prozent gewesen – und das im Aufschwung. Deshalb erwarten jetzt die Experten, dass sich der Produktivitätszuwachs auf 2 Prozent einpendelt, anstatt der 3 Prozent, von denen US-Notenbankchef und Finanz-Guru Alan Greenspan bislang ausgegangen war. Auch das Wirtschaftswachstum wird deshalb langfristig um einen Prozentpunkt niedriger ausfallen als erhofft. Die Korrektur bedeutet, dass die meisten Hightechfirmen noch immer von zu hohen Gewinnmargen ausgehen, zu optimistisch investiert haben und ihre Aktien weiter überbewertet sind.

Okay: Es ist schön, dass die neuen Technologien den Produktivitätszuwachs immerhin von 1,4 auf 2 Prozent steigern konnten – bloß ist das beileibe kein neues Wirtschaftswunder. Schade nur, dass sich kein Politiker findet, den man für diesen Irrtum haftbar machen kann.

MATTHIAS URBACH

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen