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wortwechselMaßstäbe verrutschen: Überall nur „Kriminelle“?

Minister, Klimakleber, Autofahrer … alle „kriminell“? Gehört die Autobahnpolitik vor Gericht? Verkehr stoppen – gemeingefährlicher als giftige PS-Milliarden und Vernichtung der Natur?

„Berlin-Blockaden der Letzten Generation: Sie sind ganz lieb“,

wochentaz vom 6. 5. 23“,

Die anderen Blockierer

Die sich festklebenden Aktivisten werden mit allem, was übel und von Schaden ist, tituliert. Einzig die Tatsache, dass sie sich auf Straßen festkleben und den Autoverkehr blockieren, reicht, um sie zu kriminalisieren, drastische Strafen gegen sie zu fordern und teilweise auch durchzusetzen. Wer sich nicht vor Gericht distanziert, wird als po­ten­ti­el­le*r „Wiederholungstäter*in“ gebrandmarkt, wird vorsorglich weg gesperrt. Um die Sache, das Klima, geht es dabei nicht. Ernst genommen werden sie nicht. Was sie machen, scheint zu reichen: Sie behindern den Autoverkehr, weil sie sich auf die Straße setzen. Als ob das ein gefährlicher, ja lebensgefährlicher Eingriff in die Infrastruktur ist! Die Reaktion: aggressive (meist männliche) Autofahrer.

Wie viele müssen tatsächlich mit dem Auto zur Arbeit fahren? Wie viele sind es, die aus Faulheit oder Gleichgültigkeit noch immer für jeden beliebigen Weg ins Auto steigen? Und damit selbst für kilometerlange Staus tagtäglich sorgen.

Gisela-Ingrid Weissinger, Dortmund

Der Feindbilder-TÜV

Es ist doch schön wenn man Feindbilder hat, so hat man den lieben langen Tag etwas zu tun, sich aufregen beispielsweise, und das lenkt auch so schön ab – vom eigentlichen Thema. Tobio auf taz.de

So so, der Stand der aktuellen klimapolitischen Debatte lautet also: Piep Piep Piep … „Sie sind ganz lieb“. Besser als mit dieser taz Überschrift kann man die aktuelle Situation in Deutschland nicht beschreiben. Rudolf Fissner

„Es braucht auch die vorletzte Generation. Wir müssen endlich die toxische Debatte um richtige Klimapolitik beenden. Denn ein zukunftsfähiger Alltag gelingt nur im Konsens – wenn auch die Mitte der Gesellschaft mitmacht“, wochentaz vom 6. 5. 23

Die Haltungsnoten

Was mich unglaublich nervt: die tatsächlichen Wirkungen, Effekte können nicht mehr sachlich genannt oder bewertet werden, ohne dass der ideologische Holzhammer rausgeholt wird. Politik scheint von vielen nur noch als symbolisches Handeln verstanden zu werden. Was tatsächlich geschieht, was man wirklich verändern und bewirken kann, spielt keine Rolle. Wichtig ist nur die Haltung. Erwin Schiebulski

Für viele Menschen ist der Verzicht auf Urlaub, Auto, Quatschkonsum und gesundes Essen seit Jahren alltäglich. Ihr „ökologischer Fußabdruck“ ist winzig. Sie müssen unser Vorbild werden, sonst sind wir Toast. Patricia Winter

Die Letzte Generation hat sich richtig in Schale geworfen, als es zum Minister ging. Da sagt ein Bild mehr als tausend Worte, die jungen Leute wissen, was sich gehört. Jim Hawkins auf taz.de

Wer denkt an Kranke?

Als Mensch, der sich aus gesundheitlichen Gründen nur eingeschränkt ohne Auto fortbewegen kann, finde ich es immer wieder erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit man aus ökologischen Gründen für junge und gesunde Menschen plant und alle anderen hinten runterfallen lässt. Diese Debatte wird mit dermaßen viel Wunschdenken geführt, dass man sich nicht wundern muss, dass die Menschen kein Vertrauen haben.

Sandoftime auf taz.de

Der Vergleich der Letzten Genration mit der RAF ist völlig übertrieben. Ihre Straftaten mit einer guten Absicht zu entschuldigen, ist ebenfalls fehl am Platze. Terrorismus ist eine Methode, das Anliegen spielt dabei keine Rolle. Ich erinnere mich an eine Autonomengruppe namens „Hau weg die Scheiße“, die, ohne Leib und Leben zu gefährden, auf offenem Feld Strommasten weggesprengt hat. Sie wurden als terroristische Organisation eingestuft. Allein schon wegen der Größe und Anzahl der Aktionen richtet die Letzte Generation höhere Sachschäden an und nimmt die Gefährdung von Leib und Leben billigend in Kauf. Wo die Grenzen zwischen Terrorismus und zivilem Ungehorsam liegen, ist nicht immer klar. Aber allein, um eine gesellschaftliche Spaltung nicht zu vertiefen, sollten wir bemüht sein, unabhängig vom Thema, das gleiche Maß anzulegen. Jörg Schneider, Andernach

„Freie Fortbewegung“

„Schimpfen, schubsen und schlagen. Die Störaktionen mögen nerven, aber die Reaktionen sind übertrieben – und schüren Hass“, wochentaz vom 29. 4. 23

Interessant, dass manche Autofahrer_innen, Politiker_innen und sogar Jurist_innen Gewalt gegen die relativ neue Bewegung der Klimaaktivist_innen gerechtfertigt sehen, unter anderem, indem sie sich auf ein Recht auf freie Fortbewegung berufen. Wie sehen sie denn das umgekehrte Phänomen, dass Autofahrer_innen verbotenerweise den Verkehr behindern, indem sie auf Geh- und Fahrradwegen parken? Wie viel Gewalt dürfen Fußgänger_innen und Radfahrer_innen ihrer Meinung nach anwenden, um vorsätzliche Falschparker_innen aus dem Weg zu räumen und deren unangemeldete (Macht-)Demonstration zu beenden?

Florian Ettner, Wolfratshausen

Warum erwähnen Sie nicht, dass sich diese Leute in China oder Indien festkleben sollen? Da wird über uns gelacht. Um uns herum interessiert es Niemanden, ob wir unsere Wirtschaft kaputt machen. Die anderen Industrienationen freuen sich, dass wir ins Mittelalter zurück fallen. Annette Meise, Oerlinghausen

Könnte es sein, dass sich in wenigen Jahren niemand mehr über die Aktionen der „Letzten Generation“ aufregt und die Bevölkerung mit weitaus größerem Zorn auf die Politik losgeht, weil diese viel zu wenig gegen den Klimawandel getan hat? Meinen wir insgeheim vielleicht, wir könnten mit der Natur verhandeln und noch irgendwie einen Aufschub bei der Erwärmung herausholen?

Joseph Leuthner, Bestensee

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