wortwechsel: „Und dann bin ich abgestumpft“
Über Greta Thunbergs Wutrede und die tazler-Reaktionen. Über den offenen Brief eines SPDlers an Fridays for Future. Über CO2 Sparpotenziale und Veganertipps
We owe you, Greta!
„Der Hype um Greta: Reicht’s jetzt langsam?“, taz vom 26. 9. 19
Ich bin zwar mit 40 (hoffentlich) noch kein alter, aber ich bin unbestreitbar ein weißer Mann, und ich kann mich zu 100 Prozent mit Greta Thunberg identifizieren. Mit 16 – 17 – 18 Jahren habe ich exakt genauso gedacht und gefühlt. Und ich habe nicht verstanden, warum nicht mehr getan wird. Und dann? Ja, dann bin ich abgestumpft in einer Gesellschaft, in einem System, in dem die eigentlich wichtigen Aufgaben (Klima schützen, Welt retten usw.) nicht die oberste Priorität haben. Den Müll zu trennen, mich vegetarisch zu ernähren, keinen Führerschein zu haben und dergleichen mehr scheint nicht genug zu sein, um die Welt zu retten. Hier bräuchte es der Lenkung von oben. Notfalls auch ohne das Einverständnis aller Wähler.
Wir nehmen doch auch seit Jahrzehnten die Schikane durch idiotische Pfandautomaten hin, akzeptieren irrsinnig hohe Preise für Zigaretten, ohne uns aufzulehnen. Genauso könnte man auch klimaschützende Maßnahmen einführen, ohne dass es eine Revolution gäbe. Die Politiker müssten es einfach machen. Und genau das, nicht mehr und nicht weniger, fordert Greta Thunberg. Danke, Greta, für deine mutige Rede. We owe you, Greta! Nikolas Böhm, Zeuthen
Hört, was sie sagt
„Der Hype um Greta“, taz vom 26. 9. 19
Befremdlich scheinen mir die Meinungen, die Reaktionen, die sich um die Person Greta Thunberg drehen. Die sich beziehen auf ihre Emotionalität, statt auf das, was sie sagt.
Denn unbezweifelbar hat sie recht, wenn sie von den „leeren Worten“ spricht, die nicht nur die Jugend immer wieder hört. Sie hat recht, wenn sie davon spricht, dass Menschen leiden, sterben, dass Ökosysteme kollabieren. Die Antwort der Regierenden aber drehe sich immer nur um Geld und das Märchen vom ewigen ökonomischen Wachstum. Und es leiden, das weiß man, die Armen, nicht die Reichen. Kiefer Schmidt, Saarbrücken
Verbalradikalismus
„ Liebe Fridays-for-Future-Aktivist*innen“, taz vom 20. 9. 19
Ihr sehr allgemeiner Verbalradikalismus überzeugt mich nicht, Herr Haan, noch viel weniger Ihre Partei, die SPD (die eine Zeit lang auch mal die meine war), deren Totalversagen Sie, schon weniger radikal und klar, sprachlich in das Ihrer „Generation“ verschieben. Dabei sind die „Grenzen des Wachstums“ seit den 70er-Jahren für die, die davon wissen wollen, bekannt. Und dabei sollte doch gerade die SPD aufgrund ihrer Geschichte in der Lage sein, zentrale Fragen als systemische zu begreifen.
Da ich in Stuttgart lebe, habe ich die Auseinandersetzungen um S 21 hautnah mitbekommen. Alle systemrelevanten Argumente gegen dieses Irrsinnsprojekt – ökologische, verkehrliche – lagen auf dem Tisch, sie wurden sachkundig und rational im Bündnis und im „Faktencheck“ bei Heiner Geißler vor der Öffentlichkeit ausgebreitet – aber die Entscheidungsträger der SPD hier und vor allem die Landtagsfraktion wollten davon nichts wissen.
Die Frage, die ich mir stelle, ist: Warum?
Stuttgart ist nicht der Nabel der Welt? Sicher. Aber die Frage – anderes Beispiel, etwas weiter zurückliegend – nach Krieg oder Frieden, nach Leben oder Tod ist eine systemische, also eine grundsätzliche Frage. Mühseligst nach zwei kriegerischen Weltkatastrophen erreichte Grenzziehungen – die Charta der UN, die Verfassung der BRD, die defensive Selbstbeschränkung der NATO – wurden mühelos beiseitegewischt von der SPD (im Verein mit diesem Grünenverein) im Kosovokrieg. Der keiner gewesen sei, sondern eine „humanitäre Intervention“, wie Schröder log.
Wiederum die Frage: Warum das?
Meine Antworten auf diese beiden Komplexe wären systemische und deshalb sehr, sehr wenig schmeichelhafte. Totalversagen eben. Bruno Mattes, Stuttgart
Geht meist daneben
„Neandertaler der Straße“, taz vom 21./22. 9. 19
Als Biologe ärgere ich mich regelmäßig, wenn in Artikeln Bezug auf Darwinismus oder Evolutionsbiologie genommen wird, weil es fast immer voll daneben geht. Jüngstes Beispiel ist dieser Artikel. Hier heißt es: „Auf der Straße herrscht meist Krieg, das Darwin’sche Gesetz. Der Stärkste gewinnt.“ Krieg ist weder ein Darwin’sches noch sonst wie biologisches Gesetz. Und wenn man schon Darwin auf einen Satz reduziert (was ohnehin nicht geht), dann: „Der Bestangepasste gewinnt“ (survival of the fittest) – das ist nicht unbedingt der Stärkere. Eckhard W. Heymann, Göttingen
0,00006 Prozent
Frage des taz-Lesers Franz Scharte auf der Briefseite, taz vom 25. 9. 19
Vielen Dank für Ihre interessanten und fundierten Artikel. Gerade als Energieingenieur freut es mich, dass die taz seit Langem bereits auf die Unzulänglichkeiten im Umgang der Bundesregierung mit dem Klimawandel hinweist. Ich möchte Herrn Scharte eine Antwort auf seine Frage geben, wie viel CO2 gespart würde, blieben alle Handys in Deutschland einen Tag lang ausgeschaltet.
In kurz: Wir würden 0,00006 Prozent der Emissionen einsparen. Jeder könnte auch knapp 5 Sekunden kürzer duschen, um so viel einzusparen.
In etwas länger:
Es gibt derzeit 106 Millionen Handys in Deutschland. Wenn wir davon ausgehen, dass alle eine Akkugröße wie das verhältnismäßig große iPhone X von 10,35 Wattstunden aufweisen und dieser Akku innerhalb eines Tages leer ist, würde das Ausschalten aller Handys für einen Tag eine Stromersparnis von 1.097.100 Kilowattstunden bringen. Bei dem derzeitigen Strommix (472 g_CO2/kWh) würde das eine Ersparnis von circa 520 Tonnen CO2 bedeuten. Deutschland hat derzeit einen Ausstoß von 866 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Damit würden wir, wenn jeder brav sein Handy für einen Tag ausmacht, gerade einmal 0,00006 Prozent unserer jährlichen Emissionen einsparen.
Um das noch greifbarer zu machen, will ich das Ganze mit einer Frage in einen verständlichen Kontext stellen. Wie lange müsste jeder an einem Tag kürzer duschen, um den gleichen Effekt zu erzielen? Angenommen, ich habe zu Hause einen sehr sparsamen Duschkopf mit 5 Litern pro Minute und heize mit einem Durchlauferhitzer, müsste ich knapp 5 Sekunden kürzer duschen, um den Energiebedarf meiner durchschnittlich 1,28 Handys auszugleichen. Bei Öl sind es 8 und bei Gas gut 11 Sekunden. Markus Döpfert, Berlin
Eine quälende Frage
„Pflanzen essen: Veganes Bettgeflüster“, taz vom 21./22. 9. 19
Also, letzte Woche habe ich mal wieder meine „nachhaltige Fleischdosis pro Woche“ recherchiert, und bin immer noch drunter. Trotzdem war mir als Defensivinstrument das altbackene „Hitler war Vegetarier, Hundefreund, Nichtraucher und Alkoholfeind“ schon lange nicht mehr hip genug.
Deshalb danke ich Ariane Sommer für ihre Kolumne, in der sie Herrn James Wilks aufs Tapet bringt, einen Martial-Arts-Militärelite-Trainer, der in irgendeinem Film die physische Leistungsstärke von vegan essenden Leidensgenossen in Sport und Sex bezeugt: Lãnger, öfter, härter usw.
Danke, Ariane, dass Sie mir einen neuen zeitgemäßen Widerpart beim Namen nennen. Einen gewaltaffinen Militaristen, dessen (oder Ihr) Fokus auf dem intimen Wettbewerb mit den „Steely Dans“ der aktuellen Produktion liegt. Who could ask for anything more? Jetzt schmeckt mir mein monatliches Ragoût vom in Brandenburg überfahrenen Waschbär im Speckmantel wieder viel besser.
Aber es bleibt eine quälende Frage: Was ist ein nichtveganer Whisky Sour? Ich habe schon drei getrunken, und komme immer noch nicht drauf … ohne lebende Zitronen? Ohne kalbenden Zucker? Ohne Holzwürmer in den Sherryfãssern für den Whisky? „Roundup“ soll da hilfreich sein, allein, ich weiß es nicht mit Sicherheit zu sagen. Rasto Lewandowski, Berlin
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