wortwechsel: Gespensterdebatten der Post-Demokratie?
Wie ernst nehmen Politik und Medien die Bürgerbewegung (S21), die Bürgerversicherung und Beamte, die solidarische Bürger in der Krankenversorgung bleiben wollen?
Bürgerbewegung
„Gefangen im Milliardengrab“,
taz vom 11. 12. 17
Jetzt haben Sie dem Thema S21 zwar eine ganze Seite gewidmet, aber viele Hoffnungen in die taz erneut enttäuscht. Es ist das, was alle schreiben und was die taz eben anders sehen sollte: „Ihr habt zwar recht, aber leider, leider zu spät.“ Das freut die Bahn und die Verantwortlichen, weil sie lernen: Man muss nur genug Fakten schaffen, dann kommt man mit allem durch. Das freut die Grünen hier im Land, die das Thema S21 auf dem Altar der Koalitionsbildung geopfert haben und dafür die Bürgerbewegung verließen. Wie stünden sie da, wenn das Projekt gestoppt würde? Sie stellen sich auf die Seite der Realpolitiker, die ihren Frieden mit diesem wirtschaftlichen, ökologischen und bahnverkehrlichen Wahnsinn gemacht haben, und machen die Bürgerbewegung ein bisschen lächerlich: Die Stimme des „Volkstribuns“ und „Popstars“ (Popstars haben wir eigentlich nicht) Rockenbauch „überschlägt sich“, nach Berlin zur Aufsichtsratssitzung fahren sowieso immer nur dieselben. Als bürgerbewegungsorientierte Zeitung könnte man es auch als Phänomen sehen, dass diese Bewegung immer noch dran ist, jeden Montag 500 Menschen mobilisiert und bei besonderen Anlässen immer wieder Tausende, dass um die 40 Menschen eine zweitägige Reise nach Berlin auf sich nehmen, um dort inzwischen zum zehnten Mal bei einer Aufsichtsratssitzung zu protestieren – wo gibt es das sonst? Wir kritisieren, dass die DB eben wieder nur ein Teilgeständnis ablegt, astronomische, durch nicht belegte Behauptungen zu Ausstiegskosten in die Welt setzt, um wieder irgendwie weitermachen zu können – Sie verwechseln K21 mit Umstieg 21, wie das Konzept heißt, das wir nicht 2015, sondern im Juli 2016 vorgestellt haben, deren Website nie schwarz-weiß war noch jetzt grün ist. Werner Sauerborn, Stuttgart
Auch du, taz
„Gefangen im Milliardengrab“,
taz vom 11. 12. 17
Liebe tazler, schon lange fällt mir auf, dass bei einigen Themen eure Berichterstattung nicht im Geringsten von der Mainstreampresse zu unterscheiden ist. Gerade zu dem Artikel zu S21: Der Widerstand gegen das Projekt läuft seit 2010 fundiert, aber die Quintessenz der Kritik scheint in all den Jahren noch nicht bis BERlin gekommen zu sein. Frank Amos, Stuttgart
Nichts hinterfragt
„Gefangen im Milliardengrab“,
taz vom 11. 12. 17
Sieht so kritischer Journalismus aus? Die Gegner von S 21 werden ein bisschen lächerlich gemacht: „die Stimme überschlägt sich“, „seine Anhänger jubeln“, „Popstar der Bahnhofsgegner“, „wirft sich mal wieder in die Schlacht“. Und die Argumente für den Weiterbau hin zu den prognostizierten 10 Mrd. Euro und samt allen Mängeln des Bauwerks – die Argumente dafür holt sich der Korrespondent, ohne ein einziges zu hinterfragen, von einem Politiker und Befürworter von S21 (Grüne Partei). Michael Roeder, Berlin
Post-Demokratie
„Gefangen im Milliardengrab“,
taz vom 11. 12. 17
Neue Erkenntnisse zu Stuttgart 21 bringt Ihre Zustandsbeschreibung kaum, auch wenn sie weitgehend stimmen mag. Statt aber den nach wie vor anhaltenden Protest als quasi putzige Ritual-Veranstaltung zu karikieren, wäre es sinnvoller gewesen, dessen eigentlicher Motivation auf den Grund zu gehen. Es geht nämlich gar nicht nur um einen Bahnhof, es geht um das um sich greifende „Prinzip Stuttgart 21“. Und das bedeutet: Interessengeleitete, politisch motivierte und durchgesetzte Vorhaben, begleitet von Lügen, Verschleierung, Desinformation auf allen Kanälen. Und das auch unter Einbeziehung der Presse, wie jetzt Hartmut Bäumer, früherer Amtschef im Verkehrsministerium, nach seinem Ausscheiden aus der Verantwortung einräumt. Und es bedeutet entgegen besserem Wissen konsequentes Faktenschaffen bis zum „point of no return“. Schließlich haftet ja der dumme Steuerzahler und nicht etwa die verantwortlichen Entscheider in der Politik.
All diese Vorgänge sind es, durch die – geduldet durch die Gleichgültigkeit der Massen – sich unsere Demokratie allmählich in eine Post-Demokratie wandelt.
Klaus-Ulrich Blumenstock, Stuttgart
Bürgerversicherung
„Gesundheit, Wohnen, Rente oder Pflege: Bewegt sich da was?“,
taz vom 13. 12. 17
Herr Ziemiak (CDU) bemüht zur Zurückweisung der „Bürgerversicherung“ zum xten Mal das Gespenst der „Einheitskasse“. So auch Barbara Dribbusch: „Dafür müssten private und gesetzliche Krankenkassen langfristig zu einer einzigen [sic!] Kasse verschmolzen werden“.
Für die SPD-Bürgerversicherung trifft jedoch das Gegenteil zu. Dort meint „Bürgerversicherung“ nichts anderes als eine einheitliche Markt- und Wettbewerbsordnung für einen Kranken- und Pflegeversicherungsmarkt, auf dem viele private Versicherungsunternehmen und öffentlich-rechtliche Kassen unter- und gegeneinander konkurrieren.
Die PKV-Kassen müssten dazu ein neues Geschäftsmodell auf Basis der gleichen Spielregeln bei Beiträgen, Leistungsumfang und Arztvergütung entwickeln, wie sie für die GKV-Kassen gelten. Letztere müssten auf „wettbewerbsverzerrende Privilegierungen“ verzichten; Steuerzuschüsse etwa müssten den Privaten gleichermaßen zugutekommen.
Nachdem die Geschäftspolitik der GKV-Kassen schon längst jener der PKV angenähert wurde (Kassenwettbewerb mit Übertragung von PKV-Wettbewerbsinstrumenten auf die GKV), wäre bei Schaffung des einheitlichen Krankenversicherungsmarkts zu erwarten, dass der Europäische Gerichtshof den GKV-Kassen den Status der öffentlichen Sozialversicherung entzieht, sie zu „Unternehmen“ erklärt und den neoliberalen Regeln des Binnenmarkts unterwirft.
Das wäre das Aus für das öffentlich-rechtliche Kassensystem zugunsten vollständiger Kommerzialisierung (die Niederlande lassen grüßen).
Die beiden ursprünglichen Eckpfeiler der Lauterbach’schen Bürgerversicherung aus der Rürup-Kommission (2003) – die Abschaffung der PKV als Vollversicherung und die Einbeziehung von Vermögenseinkünften in die Beitragspflicht –, die im Kontrast zur Kopfpauschale zu ihrem Ruf als „soziale Alternative“ maßgeblich beitrugen und oft noch heute durch die Debatten spuken, wurden von der SPD bereits Mitte der Nullerjahre abschließend beerdigt. Daniel Kreutz, Köln
Solidarität der Beamten
„Gesundheit, Wohnen, Rente oder Pflege: Bewegt sich da was?“,
taz vom 13. 12. 17
Es ist wohl leider wahr: Die Bürgerversicherung wird die SPD nicht durchbekommen – aber vielleicht immerhin einen kleinen Schritt in die Richtung?
Schön wäre, es würde die Möglichkeit, in der Gesetzlichen zu bleiben, also die freie Wahl, auch für Beamte durchgesetzt – so wie es in Hamburg bereits für Landesbeamte der Fall ist.
Sie schreiben, wir Beamten seien privilegiert, und finanziell stimmt das, nicht nur bei der Krankenkasse, ja auch! Dennoch kenne ich niemanden – in meinem – zugegeben nicht repräsentativen! – Umfeld, der oder die nicht im Zuge der Verbeamtung nach Möglichkeiten gesucht hat oder sich diese gewünscht hätte, in der Gesetzlichen bleiben zu können. Aus Überzeugung, weil 2-Klassen-Medizin nun mal widerlich ist, egal auf welcher Seite man steht! Aber auch, weil die Abrechnung von Beihilfe und Privatkasse ein erheblicher Verwaltungsaufwand ist.
Man kann natürlich schon in der Gesetzlichen bleiben. Dann zahlt man den vollen Tarif alleine: 0 % Arbeitgeberanteil. Ich habe das gemacht, aber das sind 4-stellige Mehrkosten im Jahr, das muss man sich erst mal leisten können. Hallo SPD: Kann ich bitte auch als Beamtin einen Arbeitgeberbeitrag bekommen, wenn ich solidarisch in der GKV bleibe? Bitte!
Silke Karcher, Berlin
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