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wirtschaftÜberfällige Modernisierung

Noch immer muss ein Türke, der sich zum Fleischergesellen ausbilden lässt, in der Ausbildung ein Schwein zerlegen. Noch immer muss ein Friseur, der von Istanbul nach Kreuzberg kommt, einen deutschen Meister beschäftigen, um einen Betrieb zu führen. Was die Noch-Ausländerbeauftragte Barbara John schon seit langem beklagt, hat nun auch die Berliner Wirtschaftsverwaltung als Problem erkannt.

Kommentar von UWE RADA

Vor allem aber will sie handeln. Dass als Motor der Veränderung nun ausgerechnet der ehemalige IHK-Geschäftsführer und nunmehrige Wirtschaftsstaatssekretär Volkmar Strauch antritt, verleiht dem Vorhaben zumindest jene Kenntnis der Situation, die es braucht, um in langwieriger Überzeugungsarbeit erst Denkblockaden und dann überflüssige Vorschriften abzubauen.

Dabei weiß Strauch, dass er in beiden Fällen vermintes Gelände betritt. Wer in der Schattenwirtschaft auch Chancen sieht oder im Falle der polnischen Pendler für eine „Strategie des Augenzudrückens“ plädiert, kalkuliert einen Aufschrei der Ordnungspolitiker ebenso ein wie den Aufschrei der Gewerkschaften. Doch weder ist Strauch ein Provokateur, noch ist er ein neoliberaler Stratege. Er ist vielmehr das, was der Berliner Politik so sehr fehlt: ein Pragmatiker mit Visionen.

Als Pragmatiker weiß Strauch um die Bedeutung der informellen Ökonomie, die schon heute mehr als 21,6 Prozent der Berliner Wirtschaftskraft aufmacht. Seine Überlegungen der vorsichtigen Deregulierung sind im Übrigen beides: Formalisierung und auch Abschaffung von grauer Wirtschaft.

Als Visionär weiß er schließlich um die Potenziale Berlins als Grenzstadt. Und die liegen eben nicht nur im Export von Know-how und hochwertigen Dienstleistungen, sondern auch in der Art und Weise, wie sich Berlin präsentiert – für polnische Touristen und Kunden ebenso wie für Unternehmer, die bislang vor der hiesigen Bürokratie zurückschreckten.

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