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wir lassen lesenAnalysen über Analytiker Herberger nachanalysiert

Popstar Sepp meets Postmoderne

Immerwährend ist nach dem Spiel vor dem Spiel, ist das nächste Spiel immer das schwerste und dauert auch wieder neunzig Minuten. Kurz: „Fußball wird bleiben, so wie er ist.“ Scheinbar zeitlos scheinen die Sprüche des legendenumrankten Reichs- und Bundestrainers Sepp Herberger. Auch in aktuellen Zustandsbeschreibungen tauchen seine tautologischen Formeln immer wieder auf. Die Sprüche des Mannes, der zeitlebens unter der bayrischen Koseform „Sepp“ zu leiden hatte, obwohl er auf dem mannheimerischen „Seppl“ bestand, gelten noch heute als Medienfibel trainerlicher Abc-Schützen. In Stein gemeißelt. Modernisierungen wirken da eher schief: „Der Ball ist rund. Wäre er eckig, wäre er ja ein Würfel“ (Trainer Gyula Lorant). Und auch die Zitatflut der heutigen dpa-Ticker und „ran“-Häscher kann das kryptische Urwerk von Herberger nicht überschatten.

Klarer Fall: Herberger war der erste deutsche Trainerpopstar. Sicher, es gab in den Fünfzigern auch andere Fußballlehrer, die, wie Herrmann Lindemann, mit Sprüchen wie „Unmögliches wird sofort erledigt, Wunder dauern etwas länger“ oder „Erst das Fundament, dann die Spezialitäten“ glänzten. Historischer Tribut gezollt wird aber vor allem dem Herberger, der als „der liebe Gott“ (Beckenbauer) die fußballerische Transzendenz vollendete.

Der Esslinger Marvin Chlada, von vielen salopp „Die Latte von Wembley“ genannt, hat nun erstmals alle Herberger zugesprochenen Wahrheiten in seiner Fußballfibel „Also sprach Sepp Herberger“ sortiert. Die situativ meistens funktionierenden „Argumente“ lassen in der nackten Aufzählung den großen Seppl als Phrasenschüttler dastehen.

Aber: So gern seine Weisheiten in Analysen schlechtwisserischer TV-Moderatoren lückenbüßerisch verwandt werden und auch unwissenderen Fußballflaneuren verständlich sind, so sehr entziehen sich zumindest Herbergers Weisheiten zur Rolle der Frau und seine Pauschalisierungen zu ausländischen Fußballern dieser Unbeschwertheit. Ganz im Gegenteil: Sie werfen ihn wieder auf seine Rolle als Mitläufer zurück.

Gedankt sei dem Autor des 96-seitigen, äußerst großzügig gestalteten Printprodukts dafür, dass er in den Begleittexten weitestgehend auf das Ereignis verzichtet, das mittlerweile wirklich zur Genüge ausgetreten wurde: Das 3:2 gegen Ungarn im WM-Finale von Bern 1954, die Geschichten von „Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen“ und „Toni – du bist ein Fußballgott“, bei denen sich rechtskonservative Populisten und sozialromantische Altlinke ideologieübergreifend die Hand zu reichen scheinen.

Im letzten und besten Teil des Buches versucht Chlada die Nietzsche-Anspielung des Titels zu klären und setzt sich mit der Aussage des Herberger-Biografen Jürgen Leinemann auseinander, der in seinem Buch „Sepp Herberger – ein Leben, eine Legende“ behauptet: „Im Grunde war Herberger schon, was heute postmodern heißt.“ Allein dass Herberger „über ein historisches Arsenal von Versatzstücken aus Personen, Szenen, Zitaten, Anekdoten“ verfügte, „die er zum persönlichen Gebrauch so inszenierte, wie es ihm passte“, soll ihn laut Leinemann zur Galionsfigur der Postmoderne hobeln. Entschieden wehrt sich Chlada gegen solche Vereinnahmungsversuche und entlarvt schwammige Literarisierungen, die den Trainer mit der Philosophie Nietzsches und Heideggers in Verbindung bringen. Herberger wären all diese Diskurse ziemlich egal gewesen. Er war auch so „ein richtiger Guck-in-die-Welt“ (Herberger über sich) und hätte deshalb nur abgewunken: „Vor der Wissenschaft ziehe ich meinen schlampigen Hut.“

GERD DEMBOWSKI

Marvin Chlada: „Also sprach Sepp Herberger – Eine Fußballfibel“, Fangorn Verlag, Adelshofen 2000, 16 DM

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