weltsicht: Als New York unterging
Es war viel zu lange friedlich gewesen, das wurde mir an diesem Tag wieder einmal klar. Sage ich friedlich? Ich meine natürlich friedlich mit Ausnahme des Kosovos, der eh für keine Schlagzeile mehr gut ist; Nordirland, wo sie sich seit Jahrzehnten den Kopf einschlagen; diverse Länder in Afrika. Aber wer interessiert sich schon dafür? Natürlich habe ich zig Unruheherde dieser Welt vergessen, aber haben das die Menschen nicht auch?
Auf jeden Fall hatten fast alle auch den Nahen Osten vergessen. Und plötzlich interessiert sich die ganze Welt für dieses Problem, das es doch schon so lange gibt. Was ich sah, erschreckte mich. „Das sieht fast wie echt aus“, kam mir in den Sinn, bis ich endlich begriff, dass es echt war. Oder wollte sich Steven Spielberg nur einen Scherz mit der Welt erlauben?
Es war echt, und das machte mich so unheimlich traurig. Auf allen Sendern liefen gleichzeitig Live-Bilder dieser Katastrophe. Wann hatte ich das letzte Mal auf fast allen Sendern gleichzeitig live ein Geschehen verfolgen können, das von unzähligen, so genannten Experten kommentiert wurde? Richtig, Gerichtsverhandlung Becker gegen Becker. Sobald ich mir unter diesem Aspekt die Fernsehübertragungen ansah, konnte ich auf einigen Sendern die Tendenz erkennen, eine Show daraus zu machen. Da wurden völlig verzweifelte Augenzeugen vor die Kamera gezerrt, wo sie dann spontan von ihren Ängsten erzählen sollten.
Ich bin tief betroffen von allem, was in den USA passiert ist, und trauere um jedes unschuldige Opfer. Doch ich frage mich, wo die ganzen Leute waren, die plötzlich vor dem Fernseher saßen, als die USA Tausende in Vietnam, Korea und im Irak tötete. Kann etwas gerecht sein, bei dem unschuldige Menschen sterben? Die Welt dreht sich weiter und ich glaube immer noch nicht, dass man mit einem Krieg in Tschetschenien so viel Aufmerksamkeit erzeugen kann, auch wenn dort mehr Unschuldige sterben.
Zum Glück wird man immer wieder daran erinnert, dass es auch andere Probleme gibt. So wie meine Mutter, die spontan einen Tobsuchtsanfall bekam, von wegen dass die Welt doch jetzt nicht untergehen kann, wo sie für so viel Geld diese spitzen Strickwolle gekauft hat. Arme Welt! Und sie wird doch untergehen!
FABIAN DAVID HAMÁK
Der Autor besucht die 12. Klasse im fränkischen Hammelburg
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