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vorlesungskritikKATJA KRUSE über Novembrismus

Des Professors Lieblingworte

Eigentlich ist der Audimax der Kinosaal der Humboldt-Universität. Doch jetzt bildet die weiße Leinwand nur den Hintergrund für Professor Jost Hermand, der, in die fahlen Farben des Winters gekleidet, hinter dem Katheder auf der Bühne steht. „Deutsche Literatur im 20. Jahrhundert“ ist das Thema und der Saal gefüllt.

Hermand zeichnet zunächst ein Bild der Weimarer Republik: Novemberrevolution, Ausrufung der Republik, alles hier, „hier in Berlin“. Er zieht eine Linie vom späten Expressionismus oder „Novembrismus“, dessen „überspannte, utopische Vorstellungen verpuffen“, zu „Dada“ und schließlich zur „Neuen Sachlichkeit“. „Ich habe keine Lust“, raunt es mir von hinten ins Ohr, aber ich war gar nicht gemeint.

Dabei sitzt es sich ganz schön so, umfangen vom dunkelsonoren Vibrato der Professorenstimme. Das wird besonders deutlich, als das Mikrofon ausfällt. Weniger Verständlichkeit, dafür bleibt mehr Raum für eigene Gedanken. Zum Beispiel darüber, wie sich eigentlich Wortfelder bilden. Der Professor nämlich sprach über die Praxis der Dadaisten, an prominenten Orten Happening-artig ihre „hanebüchenen Blödeleien vorzubringen“, und er wird es wiederholen. Beim vierten Mal sagt er, der Dadaismus sei mittlerweile unfreiwillig ins „Ismen-Karussell der bürgerlichen Kunst“ aufgenommen und die „Neue Sachlichkeit“ auf dem Weg, nun ihrerseits diesen Ismen eine Absage zu erteilen. Und das kapriziöse Wortpaar glüht bereits in mir auf, noch ehe Hermand es aussprechen kann: „Wie der Dada, aber nicht mehr so“ – genau – „hanebüchen verblödelnd“. Und dann zieht Hermand eine schneidige Linie von der „Neuen Sachlichkeit“ direkt in die „Spaßgesellschaft“ des beginnenden 21. Jahrhunderts. Infotainment, Vergnügungssucht, Konsum: „Neue Sachlichkeit“, das sei kommerzialisierte Kultur ohne Werte und Ideale. Ob dem Flaneur das Schaufenster zur neuen Gemäldegalerie wird, die städtische Menge, allen voran die Angestellten, dem Charleston und Shimmy in „Kurfürstendamm-Kaschemmen“ frönt oder Pferderennen und Boxwettkämpfe plötzlich als Kultur empfunden werden: der Ort des Geschehens sei immer die Metropole. Und zugleich Initiator dieser Veränderung.

Zwischen dem Gegenstand „Neue Sachlichkeit“ und der gefühlsmäßigen Verfasstheit des Professors ist ein aparter Kontrast entstanden. Wieder sind wir in Berlin. Über Literatur spricht Hermand nicht viel. Sie werde instrumentalisiert, sagt er, und Grenzformen entstünden, „Autoren der anderen Art, die mit einem Bein im Journalismus stehen“.

Betreten sitze ich auf meinem Klappsitz. Denn der Natur dieser Formulierung gemäß ist das besagte Bein ein recht halbseidenes. Die Beobachtung, dass Hochkultur heute „zu einem schamlosen Kommerz verkommt“, kann ich als Regung zwar nachvollziehen. Lieber jedoch wäre ich des Professors Wissen um Literatur teilhaftig geworden. Und im Gehen denke ich, wie dringend eine Kulturkritik vonnöten ist. Eine, die wenigstens annähernd so komplex ist wie ihr Gegenstand.

Die Vorlesung “Deutsche Literatur im 20. Jahrhundert“ von Professor Jost Hermand findet jeden Donnerstag von 10 bis 12 Uhr im Audimax der Humboldt-Universität statt.

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