vorlesungskritik Glaubensfragen zum Osterfest: Freude für die Spätberufenen
Nur 54 Prozent der Deutschen wissen, dass Jesus am Karfreitag gekreuzigt wurde und an Ostern wahrhaftig wieder auferstanden ist, vermelden die Agenturen pünktlich zum Fest. Rudimentäre Kenntnisse müssen allerdings beim Rest vorhanden sein, denn sogar die 28 Prozent in den neuen Ländern, die überhaupt nicht wissen, was an diesen Tagen geschah, wurden weder am Freitag noch am Montag an ihren Arbeitsplätzen gesehen. Oder sind sie arbeitslos?
Antworten kann es nur vor Ort geben, in diesem Fall in der Oberpfarr- und Domkirche zu Berlin zur Feier der heiligen Osternacht am Karsonnabend um 22 Uhr. „Ostern ist auch, wenn man wegläuft“, lautet hier die Botschaft von Generalsuperintendent Passauer. Nun wird klar, warum selbst die Ignoranten draußen davon profitieren können: die freien Tage als Vorschuss auf das durch den Glauben zu erlangende ewige Leben. Ostersonntag war bereits fast angebrochen, als die Ansprache Passauers über die Auferstehung und den Ausbruch der Osterfreuden zu solch glückseligen Vorstellungen inspirierte.
Am Anfang aber war der leere Lustgarten, und Dunkelheit umfing den Besucher im Eingangsbereich des Doms. Freundlich bekommt man gegen eine Spende eine Kerze in die Hand gedrückt: „Sie finden sonst Ihren Weg nicht!“, ruft eine Austeilerin warnend denen hinterher, die meinen, ohne dies in die Kirche gelangen zu können.
Dunkel auch die Halle, zahlreich sind, soweit zu erkennen, die Menschen erschienen, es herrscht kontemplatives Schweigen. Den Altarbereich betreten sechs Kerzenträger in Weiß, einer tritt ans Mikrofon und beginnt: „Am Anfang schuf Gott …“ Der grassierenden religiösen Unkenntnis wird grundlegend entgegengetreten! Über geschiedene Feste, Gras und Gewürm schwingt sich die Schöpfung auf bis zu ihrer Krone, nur um bereits kurz darauf, wie die nächste Stimme vorträgt, von Gott mittels Sintflut wieder von der Erde vertilgt zu werden. Dann Noahs Arche und mit einem Sprung zum Zug der Israeliten durchs geteilte Rote Meer. Von den Fluten, die die nachsetzenden Ägypter verschlangen, geht es in einer eleganten Volte zum Taufwasser, das über alle Menschen zusammenschlagen und sie erretten werde.
Aber dies war erst das Vorspiel: Die Herren und Damen Pastoren halten Einzug und verteilen das Osterlicht. Im Kerzenschein führen die Auferstehungsweisagungen von Hesekiel und Jesaja über lebendig werdende „sehr verdorrte Totengebeine“ und Wein und Milch für jedermann typologisch folgerichtig zur Überwindung von Tod und Sünde durch Jesus Christus in der Tauferinnerung des Paulus.
Mittlerweile ist das elektrische Licht allenthalben entzündet, auf der Empore sprintet ein Wachmann, um auch die Schalter im entferntesten Winkel zu betätigen. Der Berliner Dom strahlt im Festtagsglanze, schön ist er deshalb trotz der gegenteiligen Behauptung des Generalsuperintendenten allerdings noch lange nicht. Doch wahrscheinlich ist das für Außenstehende ebenso schwierig nachzuvollziehen wie die Ereignisse in der Osternacht. Diese sind, wie Passauer betont, schwer zu erklären und schwer zu begreifen, die Auferstehung sei eben nichts für Buchhalter, sondern etwas fürs Herz. Glauben eben. Und wer dies tut, der kann getauft werden, wie die junge Frau dort vorne in der Osternacht. Hinter ihr blitzen die Kelche und nachdem sie mit dem Leben spendenden Wasser beträufelt wurde, stellt sich die Gemeinde an zum Abendmahl. Wer möchte, kann laut Programmheft bis zum Taufstein weitergehen und sich an seine eigene Taufe erinnern. Glück hat da der Spätberufene, bei den anderen wird die Erinnerung wohl eher diffus bleiben.
CARSTEN WÜHRMANN
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