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vorlesungskritik Diavortag mit blauem LichteffektVom Bistum zum Touristum

„Neaplum videre et mortari, Neapel sehen und sterben“, hebt Dr. Stephan Elbern an, kaum, dass er das Podest erklommen hat. Und sogleich verdunkelt sich auch der „Einstein Saal“ der Urania, denn „Neapel als Reiseziel“ ist als „Vortrag mit Dias“ angekündigt. Das erste Bild, eine mäßig farbintensive Ansicht der neapolitanischen Bucht, macht deutlich: bei den Dias geht es um die Sachinformation, nicht um den Mehrwert. Es ist der Redner Elbern, der die frugalen Bilder kompensieren wird: „Im Hintergrund aber ragt der Schicksalsberg auf, jener Vesuv, der im Jahr 79 so unheilvoll gewütet hat.“ Elbern ist Althistoriker, und die Reise nach Neapel ist eine Reise in die Vergangenheit.

Einige verlassen den Saal. Elbern fährt fort. Mittelalter: Neapel Fürstenstadt; Stauffer; Friedrich II. gründet Reichsuniversität; Haupt des letzten Stauffers fällt. Dann die ritterlichen Türme des Castello Nuovo: „Wir sind ja heute gewöhnt, im Süden Italiens ein rückständiges Gebiet zu sehen, aber das wurde es ja erst nach dem Barock.“ Jahrhundertelang waren die Süditaliener von der Piraterie der arabischen Welt bedroht, deshalb leben die Landsleute in Armut und Phlegma: „Wenn man jahrhundertelang nicht weiß, ob die Ernte, die man heute eingebracht hat, einem auch morgen noch bleibt, dann schlägt sich das auf die Psyche nieder.“

Wir sehen Neapels Sakralbauten, soweit die Bilder es zulassen, und dann wendet sich Elbern den archäologischen Beständen zu. Schwefeldämpfe, heisse Quellen: „Den Menschen des Altertums war klar: hier weste das Göttliche.“ Wie das Seebad Bajae: „Caesar war da, Lukullus, später die Kaiser; Nero zum Beispiel hat hier seine Mutter töten lassen.“ Entspanntes Baden.

Dann Capri, schönste Insel des Mittelmeers, von den Dichtern besungen; die „blaue Grotte mit dem blauen Lichteffekt“; Capri: vom Bistum zum Touristum. Hier in Capri habe auch Kaiser Tiberius Zuflucht gefunden, „eine der verschriensten, aber tragischsten Figuren des römischen Reiches“. Seine Mutter, hochschwanger, zieht zu Augustus, der ihn adoptiert und dessen Tochter er später heiraten muss, obgleich sie „die Liebhaber häufiger wechselte als die Hemden“. Wir sehen die Büste des Tiberius. Die Überlieferungen, die von dessen Grausamkeit erzählen, seien Teil der historiographischen Verfremdung seines Charakters, so Elbern. Die tragische Gestalt zur „Bestie“ umgedeutet. Den speichelleckerischen Senat habe er in die Grenzen gewiesen, aber: „Die Antike hat ihn nicht verstanden.“

Wir erreichen Pompeji. Das zugehörige Dia ist ein echtes Zeitdokument mit wirklichem Informationswert. Menschen wandeln in der wiederausgegrabenen Stadt umher. Die Sonne scheint heiß, doch die Jeans sind lang und fallen unten weit auseinander. Shirts umspannen eng die Oberkörper, Nackenhaar fällt lang herab und Backenbärte an jeder Männerwange: das sind die späten Siebzigerjahre! Das Dia ist ein gutes Vierteljahrhundert alt. Fast schon Jetztzeit. In Pompejis Thermen herrscht noch Geschlechtertrennung („Vormittags für die Damen, nachmittags für die Herren – nach getaner Arbeit“), auf seiner Haupstrasse liegen Steine als „geplantes Verkehrshindernis“ („Rot-Grün ist überall“), ein Gladiator empfängt eine adlige Dame („Die Fundstücke legen nahe, dass die Dame nicht zu einer geistigen Übung gekommen war ...“).

„Wir sehen, die antike Welt gleicht in mancher Hinsicht der heutigen.“ In diese Welt, „so vielfältig, so bunt“, bricht der 24. August hinein. Feuersäulen steigen auf, Asche und Bimsstein: Was hat der gekrümmte Mann, den Mund in Qual geöffnet, ein mit Gips ausgegossener Hohlraum, gefühlt und gedacht? „Wir wissen es nicht, und“, so Elbers mit dem genussvollen Gesichtsausdruck des Historikers: „Wir werden es niemals wissen.“ KATRIN KRUSE

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