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vorlaufMüll macht einsam

„ARD-Exclusiv: Geliebter Müll“ (21.45 Uhr, ARD)

Zu Beginn findet man ihn völlig verrückt. Wie der Mann lamentierend durch dieses Zimmer rennt, das voll von Dingen ist, die man auf keinen Fall wegwerfen darf. Günther Hilmer sitzt in seiner Wohnung zwischen Bergen von Dosen, Flaschen, Auto-Rückspiegeln, alten Zeitungen, ungelesenen Bücher und so weiter. Ein Spinner, ein armer Irrer?

Dieser erste Eindruck wandelt sich flugs ins Gegenteil. Und man fragt sich: Ist dieser Mann, der den Sperrmüll zu sich nach Hause verlegt, im Grunde nicht herrlich normal? Sind in Wirklichkeit nicht wir Normalbürger neben der Spur, die wir ständig Neues konsumieren müssen und im Modernisierungs- und Erneuerungswahn alte Dinge entsorgen?

Die interessanteste Frage im Vorfeld der Sendung: Wer schaut sich solch eine Reportage mit dem Titel „Geliebter Müll! – Vom Mann, der nichts wegwerfen konnte“ wohl an? Antwort: Alle sollten sie sehen. Leute, die sich bisher für hoffnungslose Chaoten hielten, mehr oder minder selbstbewusste Schlampen werden mit dem Gefühl der Erleichterung den Blick über das Durcheinander in der eigenen Wohnung wandern lassen: alles harmlos! Zwangsneurotische Ordnungsfanatiker, die ihre Wohnung täglich auf Hochglanz bringen und nervös werden, wenn Gegenstände auch nur einen Millimeter neben dem gewohnten Platz liegen, werden zum Nachdenken animiert. Und das Schönste: Lachen können alle. Über den Protagonisten des Films und bestenfalls auch über sich selbst.

Fernsehautor Raymond Ley stellt Günther Hilmer als liebenswerten Messie (nach dem englischen mess für Unordnung, Chaos und Schwierigkeiten) und als klugen Alltagsphilosophen vor. Im Film ist das antikapitalistische Element dieser Sammelleidenschaft herausgearbeitet: Hilmer ist einer, den Markenartikel kalt lassen, der Verschwendung hasst und erstaunliches soziales Engagement an den Tag legt.

Ley ist ein augenzwinkernd-verständiges Filmporträt gelungen. Denn hinter der humorigen Botschaft scheint auch die Tragik des Günther Hilmer durch: „Die Leidenschaft zum Müll macht einsam.“ DÜP

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