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von disco zu disco: die clubkolumneAuf House-Besuch in Odessa

Cowboy unter Kosaken

Der Mann in dem Bärenkostüm hat einen Affen auf der Schulter sitzen und einen Leguan auf dem Arm. Doch schnell schiebt ihn ein anderer beiseite: Er trägt das Fell eines Schmunzelmonsters und bietet uns einen lebenden Chinchilla an. Dann kommt ein uralter, fröhlicher Kosake auf uns zu stolziert, mit einem Papagei auf einer Stange.

Wir sind mitten in Odessa, der Perle des Schwarzen Meers, und wandern auf der heiteren Flaniermeile herum, der Deribasowskaja. Zwar blättern und bröckeln die pastellenen Prachtfassaden hier und da, doch in der warmen Frühsommersonne, im Schatten der alten Kastanienbäume, wirkt diese Stadt einfach entzückend. Plötzlich spricht mich auch noch ein Mädchen in Jeans und rotem T-Shirt, das den Bauchnabel frei lässt, auf Russisch an. Es geht um eine große House-Party unten beim Morsky Woksal, dem großen Meeresbahnhof, wo auch das neue Hotel Kempinski steht. Das Mädchen promotet die Party im Auftrag des Veranstalters, einer Zigarettenmarke. Ich versuche, ihr auf Englisch zu antworten, doch sie scheint mich für einen hilflosen Touristen zu halten, den ein hiesiges House Music Rodeo wohl kaum interessiert.

Dabei bin ich selbst als Cowboy in der Stadt, als Gast-DJ für diese Party gebucht. Deshalb Odessa. Mit mir unterwegs: Arne und Hubertus aka Montana Chromeboy (aktuelle Platte: „War On The Bullsh*t“ auf Yo Mama). Gemeinsam werden wir einige Live-Einlagen bringen – die beiden als Gitarristen, ich liefere die Beats. Die Show hat eine vage countryhafte, urige Anmutung und groovt doch ganz eigen. Wir kennen uns da schon aus.

Und natürlich kennen wir auch das Kempinski, schließlich wohnen wir da im 16. Stock und gleiten dorthin in Glasaufzügen. Ich komme mir vor wie in Dubai oder einem geschmeidigen Spionagefilm, das geht mir schon seit der Einreise so.

Wenn man nach der endlosen Reihe ausgeschlachteter Flugzeugwracks endlich die bucklige Piste und schließlich das Flugzeug verlassen hat, muss man fünfmal seinen Pass überprüfen lassen, von immer strengeren, imposanteren Uniformierten. Auf dem Flughafen und den ganzen Weg bis ins Hotel fühlt man sich um gute dreißig Jahre zurückgeflogen. Überall fahren alte Wolga-Pkws und noch ältere Laster wie aus „Lohn der Angst“ herum, dazwischen leidlich modernere mit Aufschriften wie „Darmstädter Brühwurst – immer schnell, immer lecker!“ – „Der gute Beton aus Leimen“. Das strahlende Licht gleicht dem verblichener 60er-Jahre-Postkarten aus Italien.

Doch in eleganten Glasaufzügen gleiten wir bald unentwegt mit großen, blond(iert)en Schönheiten auf und ab, sie tragen enge Jeans mit kunstvollen Bleichungsverläufen, in die oft auch noch Gesäßpartien von Röcken und Perlen eingearbeitet sind oder die mit Lederriemchen seitlich zugebunden werden. In ihrer Begleitung sind starke, kleine Männer in geringelten Polohemden, die über den Muskeln spannen. Die Stadt scheint zu einem hohen Anteil von schönen Menschen dieser, aber auch subtilerer Art bevölkert zu sein. Auf der abendlichen Party verdichtet sich dieser Eindruck eines allgemeinen Gutaussehens ins Schwindelerregende. Viele Jungs ähneln, mit Kurzhaarschnitt und hohen Wangenknochen, den Sowjetturnern bei früheren Olympiaden. Viele der Mädchen tendieren zum Damenhaften: hohe Hacken, lange Röcke. Ein Bild stolzer oder süßer Schönheit, das sich allerdings ein bisschen relativiert, sieht man sie tanzen.

An die 3.000 dieser hübschen jungen Ukrainer haben sich in eine große, Yankee-mäßig dekorierte und mit einer bombastisch kilowattstarken Anlage versehene Halle schräg unter dem Hotel begeben und schlenkern dort bereits ungelenk mit den Armen zu den Sounds der lokalen Warm-up-DJs: hart pumpende, etwas gesichtslose House Music, wie sie in mediterranen Urlaubsorten üblich ist. Manche Tänzer springen auch schon auf und ab und werfen die Arme in die Luft. Kaum einer kann hier schmoov schmooven, stelle ich fest: Entweder sie wiegen sich nur so bedächtig hin und her oder sie pogoen direkt wild auf und ab. Vorzugsweise Zweiteres: Überbordende Begeisterung und Außer-sich-Geraten wird mehr geschätzt als kontemplative Entrücktheit.

Etwas nervös übernehme ich von Andrew, einem Lokalmatador mit einer Art Afro. Die Plattenspieler thronen im grellen Spotlight auf einer engen Holzbühne, die vibriert wie bei einem Erdbeben. Die Lautstärke ist monströs, aber von brillanter Klarheit, keine Verzerrungen. Also eine kraftvolle Stimulanz. Ich beginne mit einem bewährten Remix von Whirlpool, bringe dann einige Tobi-Neumann-Remixe von Peaches und Miss Kittin, die guten Justus-Köhncke-Bootlegs und Metro-Area-Hits und damit die Leute relativ schnell auf die von mir aus gesehen sichere Seite.

Dann kommen Arne und Hubertus auf die Bühne, stöpseln die Gitarren absichtlich hörbar ein und rocken los. Ich schneide zwischen ausgesucht slammenden Bonus-Beats von Frankie Feliciano und Kenny Dope Gonzalez hin und her, dazu schrummen die beiden eine Art entfesselten Southern Rock. Diese Sprache versteht das Publikum. Die Leute sind frenetisch, außer Rand und Band wie bei Rock am Ring. Beim zweiten Live-Set erinnert es mich im Stroboskopgewitter sogar etwas an Slayer oder Anthrax. Noch während ich mein Set weiterbrettere, werden uns aus dem Bühnengraben Stifte und CDs zum Unterschreiben hochgereicht. Ein junger Tänzer schreit jubelnd: „Germany!“ Ich bin etwas verwirrt, habe wohl einen leichten Kulturschock.

Nun ist aber gut, ich gebe an den nächsten lokalen DJ ab, leider kann ich seinen Namen bei der Lautstärke nur sehr schlecht verstehen. Wir sind jetzt alle ein bisschen durchgepustet. Nach einigen Drinks verlassen wir das Gebäude und gehen hinaus in den Hafenwind, zurück zum Hotel. Wir gleiten im Glasaufzug zurück in den 16. Stock, die Sonne geht langsam auf. Während der Fahrt blickt man sehr direkt auf „Die Treppe von Odessa“, genau gegenüber: Hier spielt eine der berühmtesten Szenen aus Eisensteins Film „Panzerkreuzer Potemkin“; denn hier fand 1905, bei einer Meuterei der Matrosen gegen den Zaren, ein historisches Massaker statt. Beim Hinauflatschen der 192 Stufen kann man diese Historizitäten noch schwer atmen (besonders als Raucher). Beim Hinaufgleiten im Aufzug entfernt sich die Treppe wie eine völlig versinkende Zeit. HANS NIESWANDT

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