von der liebe zum partnerlook von WIGLAF DROSTE:
Aki Kaurismäkis Film „Der Mann ohne Vergangenheit“ hat alles, was man zum Leben braucht: Liebe, Stolz, Trauer, Musik, Poesie, Humor – und den Stil, damit nicht hausieren zu gehen. Mit der so genannten Realität hat dieses unaufdringliche Kunststück scheinbar wenig zu tun, mit Lebenswahrheit umso mehr.
Die Landung in der Wirklichkeit war hart. Vor mir ging ein Pärchen, er ein hübscher, weichgesichtiger Schlaks von Mitte zwanzig, sie im selben Alter, klein, energisch und eindeutig der Boss, wie eine ältere Schwester. Der Junge hatte vom Kinokucken noch Traum in den Augen und fragte das Mädchen, wie ihr der Film gefallen habe. Sie zerrte an den Klettverschlüssen ihrer Jacke, schwang sich einen Rucksack aufs Kreuz und sagte: „Pfff. Das muss man ja wohl nicht so ernst nehmen.“
Renn, Junge, renn, dachte ich, renn sofort, du hast den Quell des Unglücks berührt, einen Ort künftiger Qualen, du hast auf dem Dampfer des Bösen angeheuert, flieh, solange du noch kannst. Doch er lief nicht, sondern schlürte mit. Ein Arzt würde sagen: Er hatte Beziehung.
Liebe ist Inspiration, Beziehung ihrer beider Tod. Häufig sieht man junge Männer auf der Suche nach Liebe das Land durchstreifen. Vor lauter Dummheit und Defiziten stellen sie sich die Liebe als eine mütterliche Frau vor. Hektisch durchfleddern ihre Augen das Angebot. Das sieht nicht schön aus, und oft werden sie hart dafür bestraft: Sie werden fündig und bekommen ein Muttstück, eine Frau mit Sinn für das Praktische. Irgendwann werden sie Mutti zu ihr sagen, sie sagt Vati oder Väti und lächelt.
Die Hölle ist etwas Irdisches. Frühere Männergenerationen traten zu hunderttausenden den Fluchtweg in den Bastelkeller an, wo sie bei Branntwein und Handkreissäge davon träumten, ihre durch Heirat besiegelte Selbstverstümmelung endlich sichtbar zu machen. Die entsprechenden Selbstverletzungen tarnten sie als Arbeitsunfälle, Mutti klebte dann ein Pflaster drauf, pustete und machte kutschi-kutschi, mahnte mit kernseifener Stimme, beim nächsten Mal doch bitte besser aufzupassen, und dann war, wie man so sagt, alles wieder gut.
Was ist der Unterschied zwischen einer guten und einer schlechten Ehe? In einer schlechten Ehe wird nur einer der Beteiligten vernichtet, in einer guten Ehe gelingt die wechselseitige Auslöschung. Das nennt man Fairness und Partnerschaft. Man kann auch direkt Beziehung dazu sagen.
Eine ausgeklügelte Form dieses Sadomasochismus ist das viel gepriesene gemeinsame Hobby. Wer einmal auszog, um Liebe zu finden, geht nun im Zweierpack an der Nordsee spazieren. Oder an der Ostsee, Väti und Mutti gut eingepackt in Gummistiefeln und in praktischer Wetterjacke. Schön ist auch ein Fahrradausflug. Die Räder kann man auf dem Dachgepäckträger mitbringen, das ist auch praktisch. Wenn alles gestorben ist, greift das Pärchen zum Partnerlook, in Fällen besonderer Grausamkeit wird im Partnerlook ein Tandem bestiegen. Das Muttivatiteam strampelt weiter, auch wenn der Leichenbeschauer längst dran war.
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