wunder der arbeitswelt:
von SUSANNE GENDER FISCHER
Es saß neben mir, das Wunder der Arbeitswelt. Es war etwa fünfzig, weiblich und, wie sich im Verlauf des von mir belauschten Gespräches herausstellte, wohl eine Art Bürovorsteherin bei einem Notar. Vom Chef sprach sie nicht, das war das erste Wunder. Obwohl – andererseits auch wieder nicht, wie mir allmählich klar wurde.
Ihre Gesprächspartnerin können wir vernachlässigen. Nach ihrer Eingangsfrage „Und – wie geht’s so im Büro?“ kam sie nicht mehr nennenswert zu Wort. Das Wunder der Arbeitswelt räusperte sich, setzte sich in Positur und legte los: „Na, die Ziege sind wir ja endlich los, die haben wir rausgeekelt. Die hat die ganze Atmosphäre versaut. Nun haben sich die Neuen beworben, du ahnst es nicht! Zwei haben Kinder, kommt nicht in Frage. Obwohl sie ja jedenfalls verheiratet sind, aber trotzdem. Die kommen dann immer nicht. Dann kann ich auch gleich alles selbst machen. Die anderen beiden waren besser. Die waren schon älter. Beide unverheiratet, das ist gut. Die eine, ja, die hat mir gefallen, aber die hat schon länger nicht mehr gearbeitet. Die ist schon vierzig. Obwohl sie beim Notar gelernt hat, die glaubt auch, dass sie das schnell wieder kann. Aber wenn ich ihr alles zeigen muss, kann ich auch gleich alles selbst machen. Die andere hat auch schon länger nicht mehr gearbeitet. Mann, war die selbstbewusst! Die wollte praktisch gleich den ganzen Laden übernehmen. So geht’s ja auch nicht, sage ich mal. Kaum haben wir eine weg, geht das schon wieder los.“ Die vernachlässigbare Gesprächspartnerin murmelte einen Satz, in dem das Wort „Auszubildende“ vorkam. „Ach, die faule Kröte! Die ist auch bald weg. Und frech ist sie, du glaubst es nicht! Stinkend faul, aber frech. Das haben wir gerne. Und dauernd will sie ihren Kopf durchsetzen. Bloß, wenn sie mal selbst denken soll, dann macht sie das natürlich nicht. Na, wo die mal landet, möchte ich nicht wissen! Bei uns jedenfalls nicht.“
Von der Stichwortgeberin bewunderndes Gemurmel. „Ach nein, eigentlich nicht. Das will ja niemand mehr machen, Notariat. Das ist denen zu langweilig. Aber man darf nicht schlampig sein – die Kaufverträge immer, dass auch jeder seine Kopie kriegt. Da muss man schon aufpassen, da kann keine arbeiten, die die Hälfte vergisst. Dann kann ich auch gleich alles selbst machen.“
Wenn ich mal zusammenfassen darf: Die ideale Mitarbeiterin ist unverheiratet, kinderlos, nicht mehr im gebärfähigen Alter, fleißig, fügsam, engagiert auch bei den langweiligsten Tipp-Arbeiten, erfahren und trotzdem aufstiegsunwillig. Selbst denken tut sie nur, wenn man es ihr ausdrücklich aufträgt. Mit Freuden lässt sie sich von der unangenehmsten Hexe, die je in einem Büro gesichtet ward, täglich aufs Neue schikanieren. Diese wiederum hat längst den ganzen Laden übernommen, muss nichts mehr selbst machen, vergiftet die Atmosphäre und beschäftigt sich damit, ihre Kolleginnen zu bewachen und zu belauern, ob sie etwa Zeichen von Faulheit, Schwangerschaft oder anderen Charakterfehlern an den Tag legen. Nur eines habe ich nicht verstanden: Wozu brauchen wir eigentlich noch Männer?
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