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ein antiantiamerikanischer abend

von KARL WEGMANN

„America: A Tribute to Heroes“ haben wir selbstverständlich alle gesehen. Und selbstverständlich sind wir uns einig, dass Neil Young der Beste war. Niemand Geringerer als er durfte John Lennon in die Veranstaltung schmuggeln. „Imagine“, nun gut, das passt irgendwie immer, „aber diese Hingabe“, schwärmt Willy, „diese Stimme, diese Glaubwürdigkeit . . .“ – „Dieser Cowboyhut“, unterbreche ich ihn. Willy funkelt mich böse an: „Du bist antiamerikanisch eingestellt!“ – „Nee, bin ich nicht“, verteidige ich mich, „ich find’s nur albern, dass der Mann so deutlich seine dreiviertel Glatze versteckt.“

„Apropos“, wirft Bernd ein, „ist Bob Dylan in diesen Zeiten eigentlich noch tragbar?“ – „Der Mann ja“, behauptet Willy, „einige Songs von ihm aber nicht, ,Masters of War‘ zum Beispiel, total antiamerikanisch.“ – „Jajaja“, jammert Hermann, „is ja gut, aber müssen wir unbedingt dieses dünne Amibier saufen?“ – „Das hier ist ein amerikanischer Abend“, sagt Willy, „also trinken wir amerikanisches Bier, aber ich hab auch noch etwas Stärkeres.“ Dann stellt er jeweils eine Flasche Jack Daniels, Wild Turkey und Jim Beam auf den Tisch. „Bäh!“, macht Hermann, „wo ist der Macallan?“ Jetzt wird Willy richtig sauer: „Du blöder Ignorant! Stand das World Trade Center etwa in den schottischen Highlands? Na also!“ Betretenes Schweigen.

Wir hören der Musik zu. Willy hat eine Mix-MD aufgenommen, nur Lieder aus und um den Big Apple. Als Serge Gainsbourg an der Reihe ist und in seinem „New York USA“ all diese Gebäude aufzählt, halten wir kurz den Atem an, doch das WTC ist nicht dabei. Dann platzt Konscho rein, die Arme voller Burger-King-Tüten. „Original amerikanisches Essen“, jubelt er. „Also das geht nun wirklich ein wenig zu weit“, meint Bernd, „seit über dreißig Jahren putze ich meine Zähne mit Colgate, trage ich Levis, kaue ich Kaugummi, esse ich Mars, trinke ich ab und zu Coca-Cola, lese ich amerikanische Krimis, höre ich . . .“ – „Schnauze!“, sagt Willy, „das hier ist ein Gedenkabend.“ Und dann macht er einen Fehler. Er greift hinter sich und holt ein paar bunte Teller aus dem Regal. „Schöne Teller“, schmeichle ich. „Ich weiß“, sagt er, „handgemalt, aus Marokko . . .“ Sofort erkennt auch er die antiamerikanische Provokation, wird knallrot und räumt die Teller schnell wieder weg.

„Was ist los?“, fragt Hermann, und Bernd flüstert ihm zu: „Marokko, arabisch.“ – „Oh“, macht Hermann. „Also gut“, sagt Willy, der sich längst wieder gefangen hat, „essen wir so wie unsere Freunde – direkt aus der Schachtel.“ Wir mampfen Burger und Zwiebelringe. Irgendwann sind die New-York-Songs durch, und Willy schiebt etwas von „Lynyrd Skynyrd“ ins Gerät. Bei „Gimme Back My Bullets“ schauen alle außer Willy sehnsuchtsvoll die Flaschen auf dem Tisch an, bei „Swamp Music“ gibt es dann kein Halten mehr und wir knacken den Wild Turkey. Wir schütten die Gläser richtig voll; reiner Selbsterhaltungstrieb, denn jetzt kommt „Sweet Home Alabama“.

Als ich endlich nach Hause wanke, fällt mir ein, was Paul Auster kürzlich über die Tragödie gesagt hat: „Auf Schock folgt Schönheit.“ Hoffnung!

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