theater der optischen täuschung:
von FRANK SCHÄFER
Ein ziemlich versoffener, aber befreundeter Dramatiker hatte mir und meiner Pikdame Freikarten zurücklegen lassen für die Premiere seines neuen Einfrau-Stücks. Es war nicht eigentlich sein Stück, nur von ihm aus dem Englischen übersetzt worden, aber als ich die Schauspielerin hörte, sprach aus ihr doch immer mein Dramatikerfreund. Schlimmer noch, je länger ich sie mir ansah, desto ähnlicher wurde sie ihm. Die Haare färbten sich dunkler, zogen sich langsam in ihre Wurzelkanäle zurück, die eingefallenen Wangen machten „plopp-plopp“ und waren plötzlich ganz paus, und dann begann sie, auch herablassend-süffisant zu grinsen ... Eine optische Täuschung, nichts weiter! Vielleicht durch Überarbeitung hervorgerufen. Ein Kaffee in der Pause behob das kleine Wahrnehmungsproblem. Dabei überlegte ich mir, ob man dennoch von einer guten Übersetzung sprechen könne. Wohl schon! Denn mein Dramatikerfreund hatte den Text schließlich ausgewählt, weil dessen Sprachmelodie und -rhythmus sowie diese schon manchmal etwas pathologisch anmutende Vorliebe für die Sphäre des Fäkalsprachlichen ihm selbst in die Gehirnrinde geschnitzt waren.
Nach dem Stück gingen wir ins Foyer zur Getränketheke. „Möchtest du auch einen Sekt“, fragte mich meine Frau, aber ich lehnte ab und hob dabei zu meinem eigenen Erstaunen aufgeregt beide Hände: „Nein, bestell mir doch bitte noch einen Kaffee.“ Meine Unruhe steigerte sich, während ich den Kaffee viel zu heiß hinunterstürzte. Die Minuten vergingen, und mein Dramatikerfreund fand sich nicht an der Bar ein, was nicht nur mir reichlich merkwürdig vorkam. Auch die Schauspielerin, die sich nach vielen Küsschen und Umarmungen endlich durch die Menge gezwängt hatte und sich zu uns gesellte, schien sich Sorgen zu machen. Sie kippte hastig einen Cognac, gleich noch einen und erklärte, sie wolle sich mal auf die Suche machen.
Als sie auch nach einer Viertelstunde nicht zurückkam, verfügte ich mich unter einem Vorwand zur Garderobe des kleinen Schauspielhauses und trat ein. Vor dem Spiegel saß die Schauspielerin, die mich augenscheinlich nicht kommen sehen hatte, und betastete ihr Gesicht. Ich beobachtete sie. Es schien zu changieren, wie jene Kippfigur, die in der einen Handstellung eine dampfende Cohiba, in der anderen einen erigierten Phallus zeigt. Es war schrecklich. Dann endlich bemerkte sie mich.
„Fuck, wer ...?“, wirbelte sie herum. „Ach, du bist es!“ Ich war außer mir. „Sie ist nur eine Chimäre, nicht wahr? Die Schauspielerin existiert gar nicht. Du bist es selbst. Ein hologrammatischer Wiedergänger, ein Protoplasma-Chamäleon, eine faunische Xerokopie.“
Sie grinste süffisant-herablassend und nickte: „Wobei aber noch die Frage ist, ob man eine Xerokopie tadeln darf, die solche Knie hat“, dabei zog sie ihren Rock in die Höhe, und zwei Smileys versuchten mit ihren schnöden Grimassen meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ich sagte nichts mehr, verließ wie ein Verlierer den Raum. Mit diesem Scharlatan war ich fertig.
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