village voice: Neue deutsche Schluffigkeit bei Berend
Keine Lust auf Helden
Manche Dinge passen nicht zusammen. Gute Laune und Berlin zum Beispiel: Techno war trotz Ecstasy von Tresor-Records bis in die Hardwax-Regale eine darke Angelegenheit; und Jasmin Wagner kam als gesamtdeutsches Blümchen eben nicht aus Ruinen in Prenzlauer Berg, sondern von irgendeinem Hamburger Gymnasium.
Aber jetzt ist Schluss mit unlustig, jetzt gibt es viel Berliner Freude, die sich überall und jedem mitteilen will. Im Maria lächeln die Tresenleute, im Bergstübl freuen sich die Menschen, wenn es nach Stunden voller Überschwangs zu Achtzigerjahre-Musik hell wird und der Tag beginnt. „Wir lagen zusammen in trauter Ewigkeit und schwiegen zufrieden in zarter Einigkeit“, nennt Berend diesen Zustand, wenn er darüber singt, wie das Glück derzeit in Berlin heftig angeschoben wird. Natürlich geht es wieder einmal um Pop, der neu erfunden werden soll: 2raumwohung produzieren flüchtig gekicherte Liebeswünsche, TokTok springen in Videos wie überdrehte Party-Animals herum, und im Ocean Club fühlen sich mittlerweile sogar Folkexoten zu Hause.
Auch Berend weiß, wovon er spricht. Schließlich ist er einer dieser vielen Zugereisten, die zunächst nicht so viel mit der Berliner Grätzigkeit anfangen konnten. Jedenfalls ist seine mit Elke Brauweiler gegründete Band Paula bei einem Hamburger Label unter Vertrag, für das der Sänger und Songwriter nun auch sein erstes Soloalbum „Frühes Frühstück“ aufgenommen hat. Dabei kommt ihm der Erfolg des anderen Projekts sehr gelegen – immerhin waren seine Lieder schon im Frühjahr 1998 fertig, lange vor dem Paula-Hype.
Überhaupt liegen die Interessen am kleinen, perfekt durchgetimten Popsong in beiden Fällen ähnlich. Da sind geschichtsbewusste Fans am Werk: Paula klingt manchmal wie eine elektronisch nachbearbeitete Version von Blondie; und Berend hat für sein Album im US-Collegesound aus der Zeit vor Grunge herumgestöbert. Während Frau Brauweiler dabei gerne vom Faulsein im Bett singt und davon, wie man sich mit den Unwägbarkeiten des endlos öden Tagewerks arrangieren muss, kümmert sich Berend mehr um alle möglichen widersprüchlichen Jungsgefühle. So handelt sein „Mutig werden“ eigentlich von Typen, die eher vor sich hinschwächeln und keine Lust haben auf das Heldentum dieser Welt.
Dazu drücken aber ständig Gitarren dermaßen aufs Tempo, sodass einen die neue deutsche Schluffigkeit in angenehm euphorische Zustände versetzen kann. Dieses Gefühl hält an, bis zum Schluss: Da geht es zu scheppernden Akkorden und dröhnender Sixties-Orgel um eine „Kleine Welt mit guter Luft“. Wenn Melancholie der Ursprung aller guten und aufrichtigen Begeisterung ist, dann hat Berend den passenden Soundtrack hinbekommen – nicht Stahlbad, sondern die Schlammpackung des Fun.
HARALD FRICKE
Berend: Frühes Frühstück (orbit/Universal)
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