village voice: Unzeitgemäß: „Falling Into Place“, das zweite Album von Komeit
Der innere Herbst
Von „Quiet Is The New Loud“, der im letzten Jahr viel beschworenen Hinwendung zu leisen Tönen, wird derzeit kaum mehr geredet. Anämische Jungs, die ganz doll die Probleme ihrer Freundinnen ernst nehmen, sind nicht mehr so gefragt. Stattdessen kehren wirkliche, wenn auch leicht verranzte Kerle wie Ozzy Osbourne (via MTV) und die Super-Machos von Manowar (auf dem aktuellen Cover des WOM-Magazins) zurück. Somit schwimmt der zweite Longplayer von Komeit nicht mehr auf einer Welle, wie ihr Debüt, sondern verhält sich antizyklisch zum derzeitigen Treiben in der Rockarena.
Sonst ist alles gleich geblieben, denn „Falling Into Place“ spiegelt genauso sensibel den leicht lädierten emotionalen Haushalt Komeits ab wie schon die letzte Platte zuvor: Die Texte über Ängste, verloren gegangene Beziehungen, zwischenmenschliche Sprachlosigkeit bei gleichzeitiger Hoffnung auf Zweisamkeit ebenso wie die Musik, die wieder mit größter Einfachkeit emotionale Spannungszustände evoziert.
Chris Flor und Julia Kliemann scheinen Melancholiker aus Passion zu sein. In ihnen steckt ein unbestimmtes Gefühl von Weltschmerz, und das Einzige, was ihnen wirklich klar zu sein scheint, ist, dass dieses Gefühl herausmuss. Ihre Musik klingt nicht verzweifelt, nicht aufbegehrend, sondern nur traurig. Die beiden scheinen einfach etwas müde zu sein von all dem, was die eigene Psyche dauerbelastet. Sie reagieren auf ihre diffusen Probleme jedoch nicht dadurch, dass sie in ihrer Musik ihre Verwirrtheit transparent machen würden. Im Gegenteil, sie suchen die Harmonie, den Wohlklang, ihre eigene Platte bietet ihnen den Schutz, den ihnen das Leben dort draußen nicht bieten kann.
Man muss das nicht gleich Weltflucht nennen, nicht Einigelung in die wohl gerundeten Harmonien ihrer Billigorgeln, sanft angezupften Gitarren und das abwechselnde Erheben der Singstimme. Protagonisten einer Spaßgeneration aber stellt man sich anders vor. Andererseits positionieren sich Komeit auch nicht gegen so etwas wie eine Generation Golf. Sie richten ihre Musik gegen überhaupt gar nichts. Sie ist einfach.
Sich so zu den eigenen Zweifeln zu bekennen, dazu gehört natürlich auch eine gehörige Portion Mut. Flor und Kliemann tragen ihre eigene Verletztlichkeit nach außen, geben sich nicht stark oder wollen so tun, als hätten sie alles im Griff. Nach den Prämissen der Leistungsgesellschaft sind sie die Loser – diejenigen, die einfach nicht wissen, wo es hingehen soll, Fälle für den Soziologen. Dabei macht dieses spürbare Unbehagen ihre Musik gerade so stark. Denn tatsächlich weiß niemand, wo es denn hingehen wird mit der FDP, Martin Walser, dem Kaschmir-Konflikt, dem Sozialstaat, aber alle tun so, als wüssten sie es. Komeit nicht. Dafür muss man ihnen dankbar sein. Da sind zwei, denen es auch nicht immer geil geht, die nicht immer auf alles eine Antwort haben. Auf das, was alles nicht passt, kann man mit Wut reagieren oder mit Trauer. Komeit haben sich für Letzteres entschieden. Ach ja, eine Herbstplatte ist „Falling Into Place“ natürlich sowieso.
ANDREAS HARTMANN
Komeit: „Falling Into Place“ (Monika)
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