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village voiceGlück und schlechte Nachrichten von den Sternen: Masha Qrella von Mina und Contriva und Brezel Göring von Stereo Total mit Soloplatten

Die zwei aus der Zwischenzeit

Man weiß nicht: Was soll das bedeuten? Und wird dann sprichwörtlich vor den Kopf gestoßen: Masha Qrella zeigt auf dem Cover ihres Soloalbums nicht viel mehr als ihre frisch gewaschenen Haare. Da kann man nur spekulieren: Will sie das klassische Siebzigerjahre-Porträt, das auf Alben wie diesen meist drauf ist, variieren oder persiflieren? Oder möchte sie an die schönen späten Achtzigerjahre erinnern, in denen Musiker wie J. Mascis, Mark Lanegan oder die Jungs von Love Battery nichts anderes taten, als im Geist der Siebziger Gitarre zu spielen und ihre Gesichter hinter langen Haaren zu verstecken?

Am nähesten dran aber ist man mit der Vermutung, dass Qrella wenig am Schopf hat mit munteren Personality-Shows: Dies ist Musik, und nicht Mia. Damit würde sie nur die Politik fortführen, die ihre Stammbands Mina und Contriva mit ihrer gitarristischen House-Organisation verfolgen: Die Musik ist charismatisch, nicht die Personen, die sie machen.

Allerdings lässt es Qrella auf ihrem mit „Luck“ betitelten Album ruhiger angehen als zu Hause und vor allem: Sie singt. Versuche gab es da ja schon bei Mina („Desktop“) und Contriva („Next Time“), doch es schlummert mehr in ihrer Seele, das raus muss. So schaukelt sie sich mit einer nicht gerade voluminösen, aber einige Höhen und Tiefen abschreitenden Stimme durch ihre Songs und singt von glücklichen und unglücklichen Lieben und Freundschaften.

Qrella betört dabei mit sprödem Charme, der eingebettet ist in nicht weniger spröde Licks und Loops, die die Songs gemächlich antreiben und genauso gemächlich durch sie kreisen. Viele widerstreitende Gefühle kämpfen in Qrella und brechen sich nur gegen stärkste Widerstände Bahn. Bloß keine Neurosen entwickeln, bloß keinen Überschwang! Lieber verliert sich Qrella in kleinen, schönen Momenten: in dem zauberhaften „You Won’t Be There“, wo sie singt: „I try to come myself“ (ach ja, die Siebziger), in dem fluffigen „All She Feels Instead“ oder auch in dem bedrohlichen „Insecure“. Ein schönes Album, das sich Zeit nimmt und Zeit braucht; ein Album, das sagt: Ich ist, wo mein Song ist.

Genau wie Masha Qrella probiert sich auch Stereo Totals Brezel Göring solo aus. Das kennt er zwar von früher, als er noch als Sigmund Freund Experience-Cassetten aufnahm, und das hat er nicht ganz so nötig in einer Zweierformation wie Stereo Total, in der leben, lieben und arbeiten ganz feste eins sind. Françoise Cactus aber hat wohl solcherart wohltuend bremsenden Einfluss auf den Brezel’schen Expressionsdrang, dass er sich mal allein und um einiges durchgeknallter als bei Stereo Total ausprobieren wollte. Eine Vorgabe, die ordentlich Angst einjagt, doch Brezel Görings unordentliche, auf Miniaturinstrumenten eingespielten Stücke belehren einen mit ihren Plicks und Plonks eines viel Besseren.

„Bad News From The Stars“ ist ein Album, das von unausgereiften Ideen, ungeschriebenen Kurzgeschichten und der Zukunft als Mangelerfahrung handelt, aber das erfolgreiche Gegenmodell dazu ist. Der Dub-inspirierte Titeltrack, geschrieben von Serge Gainsbourg, gesungen von Françoise Cactus, ist ein ultimativer Hit, „Slower Pussycat Wait Wait Wait“ eine ultimative Ballade, „Wenn sich Träume verwirklichen, werden auch Albträume wieder wahr“ ein ultimativer Disco-Stomper, und der „Stratosphere Boogie“ ein ultimativer Sehnsuchtssong, der sich anhört, als hätte sich Brezel Göring mit den Comedian Harmonists und Speedy Gonzales auf dem Fischmarkt in Hamburg getroffen und Hans Albers ein Ständchen gebracht. Da lebt man auch gut mit diversen Nervstücken, die Görings Labelbetreiber Felix Kubin euphemistisch als „Disco-Lärm-Musik“ zu umschreiben weiß.

„Das ist eine crazy Schallplatte“, soll Françoise Cactus zu Kubin im Bus von Hamburg nach Braunschweig gesagt haben. Crazyness, die ihren Reiz hat und wiederum nicht so crazy ist, als dass man sie nicht verstehen und lieben könnte.

GERRIT BARTELS

Masha Qrella: „Luck“ (Monica); Brezel Göring: „Bad News From The Stars“ (Gagarin Records)

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