village voiceStilsicher: Till Brönners neues Album „Blue Eyed Soul“: Wie bei Armanis im Anzug
Es weiß inzwischen jedes Kind: Die Grabenkämpfe zwischen Underground und Mainstream gibt es nicht mehr. Erfolg will jeder, nur die Höhe des Preises variiert noch. Integrität berechnet sich längst nicht mehr umgekehrt reziprok zu den Verkaufszahlen, diese Zeiten sind endgültig vorbei. Selbst im Jazz. Zum Glück für Till Brönner.
Tatsächlich lässt sich die Karriere des 30-jährigen Berliner Trompeters neuerdings sogar als Pionierleistung lesen. Von Anfang setzte Brönner auf ein schickes Erscheinungsbild, kokettierte mit dem kommerziellen Erfolg und handelte sich so schon zu Beginn seiner Laufbahn schnell den Yuppie-Vorwurf ein. Den trug er mit Stolz, und er ist ihn seitdem auch nicht mehr losgeworden. Und das, obwohl er nicht nur mit DeeDee Bridgewater oder Peter Herbolzheimer gespielt hat, sondern auch mit Künstlern wie Hildegard Knef und Manfred Krug arbeitete. Zuletzt wagte er es gar, Chet Baker per Sampler zu reaktivieren, mit elektronischen Beats zu unterlegen und dann noch mit ihm zu duettieren.
Mit „Blue Eyed Soul“ nun dürfte sich Brönner endgültig aus dem Elfenbeinturm Jazz verabschieden. Das neue Album macht sich nicht nur wegen der exquisiten Verpackung im warmbraunen, melancholischen Pappschuber ganz vorzüglich neben der Best-of-Sade im CD-Regal. Dies ist auch sonst ein Werk, das international sein möchte. Die Liner-Notes, in diesem Fall eher ein Pressetext in sehr eigener Sache, sind ausschließlich in Englisch gehalten, die Credits sowieso. Überschrieben ist das Booklet mit „The Soundtrack For Your Soul“, und nur wenige Zentimeter darüber blicken Brönners Augen dunkel und direkt ins Seelchen des Fans. Hier hat Jazz was mit Gutaussehen zu tun, und das ist gut so.
In welche Schublade seine Musik gesteckt würde, sei ihm egal, versichert Brönner in diesem Booklet, das Einzige, was zähle, sei, dass die Musik weder ihm noch dem Hörer auf die Nerven fallen dürfe. Da kann man ihn beruhigen: So wohl temperiert war selbst Brönner selten. Jedes Solo, das sich auch nur einige wenige Sekunden in ein paar an den Nerven reißenden Tonfolgen verliert, wird sofort wieder zur Räson gerufen. Warum sollte man eine Platte kaufen, die einen stresst, fragt er rhetorisch, und auch da hat er natürlich Recht.
Also: Stilsicher ausspannen mit Till. Denn Stilbewusstsein ist alles. In „Love Somebody“ schnarren elektronisch bearbeitete Stimmfetzen durchs Arrangement, in der Eigenkomposition „Jazz Musician“ werden die titelgebenden Worte zerhackt und die Einzelteile leicht verzögert wie bei einem Scratch wieder ausgespuckt. Die dezent im Hintergrund tröpfelnden Beats hat ihm der japanische DJ Samon Kawamura gemischt. Solch moderne Versatzstücke werden allerdings immer nur sehr reduziert eingesetzt.
Viel lieber reanimiert Brönner das bewährte gestopfte Horn, mit dem er nicht nur die von Barry White ins Schmachtfetzen-Nirwana gecroonte Billy-Joel-Schnulze „Just the Way You Are“ zum Großstadt-Blues röhrt. Dieses niedlich glitzernde Abziehbild von urbanem Lebensgefühl regiert auf „Blue Eyed Soul“ in jeder Sekunde ganz souverän.
Nur: Allzu soulig, wie der Titel verspricht, ist das nun mal nicht. Brönner ist stattdessen eine topaktuelle und seidenmatt glänzende Version von Cocktail-Jazz gelungen, die sich überaus erfolgreich zur Wehr setzt gegen die Übernahme der After-Hours-Bars durch jazz-samplende Beatbastler und ausgediente Drum&Bass-Vorreiter. Diese Platte sieht nicht nur aus wie ein Armani-Anzug, sie klingt auch so: Außen knitterfrei, innen nichts drin, aber wenn man reinschlüpft, fühlt es sich grandios an. THOMAS WINKLER
Till Brönner: „Blue Eyed Soul“ (Verve/Universal Jazz), am 17. 3. live im ColumbiaFritz, Columbiadamm
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