village voice Pigor und die Pigoretten: Perfide Wortkaskaden und Pleiten zum Mitschunkeln
Im wahren Leben soll er ja ein ganz umgänglicher Mensch sein. Wenn Thomas Pigor aber auf der Bühne steht, hat er sein Resthaar dämonisch spitz auf die kahle Stirn gekämmt und gibt das wortgewandte Ekel, den dominanten Alltagsphilosophen, der stets ein gehässiges Bonmot gegenüber seinen Mitmenschen parat hat. Pigors kleinmütiger Gegenspieler ist der Pianist Benedikt Eichhorn, bemitleidenswert, treuherzig, zum Schweigen und Begleiten verdammt. Zusammen sind sie unschlagbar. Für ihre Umwandlung von Chanson und Kabarett in Salon-HipHop heimsten sie zu Recht den Deutschen Kleinkunstpreis ein.
Pigor aber, so scheint es, war ein Opfer seiner Demütigungen nicht genug. Erst wurde „der Ulf“ adoptiert, der blubbernde Sounds und Beats dazusteuerte. Zuletzt wurden noch vier Mädels ins Boot geholt. Die Hierarchie hat sich damit keineswegs verschoben. Die wunderbare Girlgroup (Maike von Bremen, Anett Cierzynski, Alice Köfer und Eva Thärichen) wurde natürlich nach dem Meister benannt: die Pigoretten. Irgendwann wird Pigor in seinem Größenwahn wohl mit den Fischerchören im Schlepptau enden.
Jetzt ist aber erst einmal das Glück über die Studioversion ihres gemeinsamem Liveprogramms zu verkraften. 14 Stücke umfasst die CD, auf keines möchte man verzichten. Und was man bei CD-Aufnahmen von Chanson- und Kabarettprogrammen nur selten sagen kann: „Benedikt Eichhorn präsentiert: Pigor und die Pigoretten und der Ulf“ funktioniert auch dann, wenn man die betörende Truppe niemals auf der Bühne gesehen hat. Das liegt an der musikalischen Ausarbeitung, die derart vielseitig und feinsinnig vonstatten gegangen ist, dass die einzelnen Songs bestens für sich stehen können. HipHop und vierstimmiger Chorgesang kollidieren mit rasanten Schunkelrhythmen, perfide Wortkaskaden navigiert Pigor bewundernswert sprach- und artikulationssicher durch eingängige Loops. Diese neudeutschen Chansons haben die Grenze zum Pop passiert. Pigors Texte sind böse, zynisch, treffsicher, komisch, aber niemals albern. Das wird ihnen wohl auf ewig den Weg in die Hitlisten versperren.
Die Themen liegen dabei im sprichwörtlichen Sinne auf der Straße. In „Kleine dicke Fraun“ besingt er die „Rambos der Einkaufswelt“, die einem mit ihren Kinderwagen über die Hacken fahren, sich an der Kasse vordrängeln und sich nicht einmal ihrer Dreistigkeit bewusst sind. In „La friseuse“ begibt er sich auf die Suche nach Carola, die ihm immer so schön die Haare geschnitten hat und nun in einen Salon in Mitte gewechselt haben soll. Er mokiert sich über lange Schlangen an der Supermarktkasse, erinnert sich an die Peinlichkeiten der Pubertät und beschreibt die Abgründe von Chatroom-Bekanntschaften. Und mit „Fernsehmoderatoren laden sich gegenseitig ein“ wird nicht nur feinsinnig ins Medienkritikerfach gewechselt, man kann auch erleben, wie man aus den Namen unserer Plauderstars von Kiesbauer über Türck bis Gottschalk und Deppendorf eine subtile Sound- und Wortcollage bastelt.
Und mit „Berlin ist pleite“ haben wir nun auch die lang ersehnte Hauptstadthymne. Nölendes Berlinerisch zu peitschenden Beats. Mitschunkeln nicht ausgeschlossen. Und alle Wahrheiten und Berlin-Plattitüden komprimiert auf keine drei Minuten. „Ein Glück, det die Bayern diesen Wahnsinn bezahlen/Bei dem PDS-Anteil bei den letzten Wahlen.“ Ulrich Schamoni sollte den Song unbedingt in die Rotation von Hundert, 6 zwangsverpflichten. AXEL SCHOCK
„Benedikt Eichhorn präsentiert: Pigor und die Pigoretten und der Ulf“ (Roof Music/ Eichborn Verlag). Live wieder ab 17. 10. in der Bar jeder Vernunft. www.pigor.de
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