village voiceDas „Mittwochsfazit“ gibt es jetzt auch auf CD: Sagt das Schultheiss zum Rucola
Wer bereits am Mittwoch die Woche bilanziert, dem kann es nicht wirklich um Tagespolitik gehen. Folglich hält das Trio „Mittwochsfazit“ vielmehr die Nebensächlichkeiten und Banalitäten samt ihrer ganz persönlichen abstrusen Tag- und Alpträume fest, um sie vor einem so treuen wie begeisterten Publikum zu Gehör zu bringen.
Horst Evers sinniert in seinen unprätentiösen Alltagsgeschichten mit stoischer Unaufgeregtheit über fatale und anrührende Missgeschicke. Bov Bjerg, der sich auch gerne Schauleser nennt, sorgt für schnippischere, zaghaft bissige Zwischentöne. Und der Liedermacher Manfred Maurenbrecher macht, was er immer schon gut konnte: episch-poetische, humorvoll-bittere Balladen zwischen Sentiment, Kneipenseligkeit und eigener Parodie. Dass die Wurzel dieser literarisch-kabarettistischen Dauereinrichtung eigentlich auf den großen Uni-Streik 1988/89 (die Novemberrevolution der studentischen Neulinken Westberlins) zurückgeht, ist weitgehend vergessen. Dort waren sich die Jungautoren Evers und Bjerg begegnet und gründeten ihre Satirezeitschrift Salbader.
Weil die aber kaum jemand lesen wollte, lasen sie kurzerhand ihre Texte in der FU-Mensa vor – das „Mittwochsfazit“ war geboren. Die Leseshow hat im Laufe der Jahre Höhen und Tiefen, personelle wie örtliche Veränderungen durchlebt. „Dr. Seltsams Frühschoppen in der Kalkscheune“, die Kunstfabrik Schlot und das Mehringhof-Theater gehören derzeit zu ihren angestammten Spiel- und Lesestätten. Ihre Auftritte sind, nicht unwichtig, zu einer Institution geworden.
Vorgetragen wird das meist wöchentlich sich verändernde Programm mit Bedeutungsschwangerem, Selbstironischem, Groteskem und Offenherzigem. Solonummern wechseln mit Gesangseinlagen oder Minidramen mit verteilten Rollen – alles ohne Requisiten und schon gar ohne Kostüme. Zuhören ist alles.
Auch zu Hause auf dem Sofa per CD klappt das. Der Auftakt, ein gemeinsamer Abgesang auf die geliebte D-Mark („Auf Wiedersehen“), ist zwar fast schon rundfunktauglich. Kruder aber geht’s gleich in der zweiten Nummer zu, in der Momentaufnahmen zu einem vielstimmigen Kabarett des Alltags zusammengerührt werden. Man erfährt, warum Evers das Klopapier gleich zweimal auf seine Einkaufsliste setzt, und Maurenbrecher informiert über die Invasion der Kakerlaken. Man ist verwirrt, aber in Stimmung.
Die inzwischen ausgelutschten Telefonverarschungen finden in Horst Evers’ Geschichte „Zwei Plätze für Scholz“ eine undramatische, aber komische Umkehrung. Wie er das Telefonmissverständnis des Ehepaar Scholz wiedergibt, das ihn mit einem Reisebusunternehmen verwechselt, ist ein Glanzstück des absurden Dialogs. Ja, man möchte begeistert ausrufen: „Endlich hat Loriot einen würdigen Nachfolger gefunden!“ Auch andere Geschichten wie die von den verliebten Brötchen vermitteln das Glück, den Mehrwert dieser Leseunterhaltung im Gegensatz zur Comedy genießen zu können.
Dieser Spaß baut nicht auf die schnelle, flache Pointe, nein, er ist geformt durch die Lust an der Sprache und der ausgefeilten Formulierung, am poetischen Klang und den Zwischentönen.
Selbst die vier Folgen der Sitcom-Serie „Im Kühlschrank“ hat diese Qualitäten. Vor allem aber schreien diese abgedrehten Streitgespräche zwischen Abtauautomatik und Mehl, zwischenSchultheiss und Rucola nach einem: Mehr! Mehr!! AXEL SCHOCK
Live bis 12. 12. jeden Mi, 21 Uhr, Schlot, Schlegelstr. 26, Mitte. Die CD ist u. a. bei www.silberblick-musik.de oder über den Buchhandel zu bestellen.
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