usa unentschieden: Demokratie wie im Hollywood-Film
„Cliffhanger“ nennt man in den USA eine solche Hängepartie, wie sie sich jetzt bei der Auszählung der Wahlergebnisse abspielt. Das klingt wie ein Actionfilm mit Arnold Schwarzenegger als Helden, der mit einer Hand an einer Klippe über dem Abgrund hängt. Und genau so hat die Wahlnacht auf viele Amerikaner tatsächlich gewirkt. Hollywood hätte es nicht besser hinbekommen können.
Kommentarvon PETER TAUTFEST
In dieser Wahlnacht ging es aber nicht nur um Amerikas Präsidentschaft, die von ein paar hundert Wählerstimmen abhängt, in dieser Situation wird Amerikas Demokratie auf ihre Funktionsfähigkeit geprüft. Wehe, wenn sie diesen Härtetest nicht besteht. Noch ist nicht bekannt, wer der nächste Präsident der Vereinigten Staaten sein wird, doch schon spekulieren die Ersten darüber, ob die nächste Wahl mit größerer oder geringerer Wahlbeteiligung, mit mehr oder weniger Interesse rechnen kann – jetzt, wo sich doch erweist, dass deren Ausgang an ein paar hundert Stimmen, ja vielleicht nur an einem einzigen Wähler hängen kann. Oder wird Amerika noch tiefer in apolitischen Zynismus versinken? Nach einem drögen Wahlkampf, 3 Milliarden Dollar Wahlkampfkosten, 16 Monaten inhaltslosen Gedröhns und demagogischer Polemik – und einem grotesken Ergebnis: ein Patt, eine Lage, die viele Vorurteile über die Vergeblichkeit und Lächerlichkeit aller Politik bestätigt.
Wie immer das Ergebnis ausfällt, ob Bush oder Gore Präsident wird, die Demokratie bleibt weiter in kritischer Balance über dem Abgrund. Wie wird mit den ausbalancierten Mehrheitsverhältnissen in Washington umgegangen werden? Zwar ist denkbar, dass Republikaner das Weiße Haus sowie beide Häuser des Kongresses beherrschen, doch die Mehrheit ist so hauchfein, dass Obstruktion leicht und Blockade unausweichlich scheint. Eine ideale Arena für ideologische Kämpfe, die mit den Problemen im Lande so wenig zu tun haben wie Actionfilme mit der Realität. Schließlich ist Amerikas politische Kultur hoffnungslos ideologisiert, Streitkultur ist Intrigantentum und hohler Rhetorik gewichen, politische Auseinandersetzung einem permanenten Wahlkampf. Das Patt in Washington zwingt zu einer neuen politischen Kultur. Bush hat sich just diese Aufgabe vorgenommen – die Versöhnung von Gegensätzen und Koalitionsbildung über Parteigrenzen hinweg. Er ahnte wahrscheinlich nicht, welche Herausforderung da schon bald auf ihn zukommen könnte.
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