unterm strich:
Die Stadtvertretung von Klütz hatte am Montag hinter verschlossenen Türen getagt. Dass der Leiter des dortigen Uwe-Johnson-Hauses gehen muss, will der stellvertretende Bürgermeister Guntram Jung (CDU) auch am Dienstag nicht offiziell bestätigen. „Nur so viel: Wir haben eine Entscheidung in einer Personalangelegenheit getroffen.“ Der Betroffene soll davon auf dem Postweg erfahren. Nicht aus der Presse.
Dass dieser Betroffene Oliver Hintz ist, pfeifen die Spatzen von den Dächern der mecklenburgischen Kleinstadt. Schon in der Vorwoche hatte die Stadt den Leiter des Literaturhauses freigestellt, nun die Trennung. Arbeitsrechtlich ist das keine große Sache, Hintz war nicht fest angestellt, hatte nur einen „Dienstleistungsvertrag“ auf Honorarbasis mit der Stadt.
Und dort wurzelt wohl auch der Konflikt, der ihn den Job gekostet hat: Hintz hat mit großer Verve und in kürzester Zeit eine „Hannah-Arendt-Woche“ auf die Beine gestellt, die im Uwe-Johnson-Haus und auch im benachbarten Lübeck stattfinden sollte. Für die zweite Ausgabe 2026 hatte er den jüdischen Publizisten Michel Friedman gewonnen. Aus Sicht des damaligen Bürgermeisters Jürgen Mevius hatte er damit seine Kompetenzen überschritten. Er verlangte, Friedman wieder abzusagen.
Um die Gründe dafür gab es jenen Konflikt, der Klütz bundesweit, wenn nicht weltweit bekannt gemacht hat: Mevius will Kostenrisiken geltend gemacht haben, Hintz stach an die Presse durch, es sei um Sicherheitsfragen gegangen, die Stadtvertretung sei vor möglichen Protesten von Rechtsradikalen eingeknickt.
Über den ehrenamtlichen Bürgermeister brach ein Shitstorm herein und er kündigte seinen Rücktritt an. Friedman kam, ein Jahr vor der eigentlichen Einladung, nach Klütz, zu einer Kundgebung des PEN Berlin zur Rettung der Meinungs- und Kunstfreiheit. Hintz stand dort mit ihm auf der Bühne und erhob wüste Antisemitismusvorwürfe gegen seine Kolleginnen und die Stadt, weil das Literaturhaus mit gelben Schärpen geschmückt war: „Gelb ist die Farbe des Sterns, den die Familie von Michel Friedman einst tragen musste.“ Und zufällig auch die Farbe des Klützer Stadtwappens. Spätestens da war der Bruch nicht mehr zu kitten. „Permanente Beleidigungen, falsche Behauptungen und Antisemitismusvorwürfe gegen die Stadt“, nennt Jung als Grund für das Zerwürfnis.
Für die diesjährige Hannah-Arendt-Woche haben Gäste aus Solidarität mit Hintz abgesagt, darunter der frühere SPD-Chef Björn Engholm. Die Veranstaltungsreihe wurde inzwischen abgesetzt. Und im kommenden Jahr? „Wir müssen nun schauen, was noch möglich ist“, sagt Jung, der zunächst als Bürgermeister nachrücken soll.
Jan Kahlke
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