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unterm strich

Das ist doch eine gute Nachricht: Das Leben in Berlin wird ab sofort weniger hart sein, weniger kalt, weniger gewaltsam. Stattdessen wird es von nun an zahllose schöne Kneipenbesuche geben, philosophische Schwadroneursausflüge und Bier, Bier und Bier. Wie das so plötzlich kommt? Das Leben, wie die Zeit es sieht, die Berliner Wirklichkeitskolumne im Lifestyleteil der professoralen Wochenzeitler, die bislang Tim Staffel füllte, wird ab sofort der Neuköllner Kneipenphilosoph Thomas Kapielski bestücken. Und die Berliner Wirklichkeit wird eine neue sein. Warum man Staffel allerdings, von den Redakteuren scheinbar unbemerkt, als letzte Kolumne einfach das Ende seines Erfolgsromans „Terrordrom“ abdrucken ließ, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Denn eigentlich verabschiedet man sich nur einmal im Leben so rasant wie hier: „Sinan startet den Mustang, und wir fahren los. Keine Ahnung, wohin wir fahren. Der Tank ist voll.“ Adieu Tim. Das Leben wird ohne dich wohl freundlicher werden.

Wer denkt denn beim neuen tschechischen Ausländergesetz schon an barfüßige Pirouettendreher und fein abgestimmte Klangkörper? Andererseits: Wer weiß, was sich hinter 100 britischen Orchestermusikern für Einwanderungswellen verbergen könnten. Jedenfalls hat die Tschechische Botschaft in London die Mitglieder der Liverpooler Philharmonie auf Grund der neuen Gesetzeslage aufgefordert, vor ihrem Konzert beim Musikfestival „Prager Frühling“ eine Arbeitserlaubnis zu beantragen. Gleiches gilt für John Neumeiers Hamburger Ballett, das von der tschechischen Vertretung in Bonn an seine Visumpflicht gemahnt wurde – im Zusammenhang mit einem Auftritt bei der Veranstaltung „Europäische Kulturhauptstadt 2000“. Die neuen Bürokratismen brachten den Direktor des Prager Musikfestivals, Oleg Podgorny, zum Schäumen. Das neue Gesetz, so Podgorny vor Journalisten, „verunsichere“ die 800 ausländischen Künstler, die zu seiner Veranstaltung erwartet werden. Grenzbeamte könnten von den Künstlern unter anderem ein zusätzliches Einreiseformular mit zwei Passfotos oder gar eine Arbeitserlaubnis verlangen – was für die Festivalleitung Mehrkosten in Höhe von 45.000 Mark bedeute. Außer Kosten und verunsicherten Künstlern gab es von Seiten der Kulturschaffenden am neuen Ausländergesetz anscheinend nichts zu bemängeln. Warum also so viel Aufregung? Wenn schon Ausländergesetz, dann richtig! Wo kämen wir denn hin, wenn sich irgendwelche Einwanderer demnächst um ihre Papiere drücken, nur weil sie an der Grenze mal eben schnell ein Blockflötchen zücken?

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