unterm strich:
Kein Ende in Sicht: In der Auseinandersetzung um Martin Walsers vergangene Woche erschienenen Roman „Tod eines Kritikers“ hat ein weiterer Herr zur Flinte gegriffen. Womöglich wollte er FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, zu Hilfe eilen und hat deshalb jüngst in dessen Frankfurter Allgemeinen scharf geschossen. Schirrmacher hatte abgelehnt, Walsers Buch vorab zu drucken, da es antisemitische Stellen enthalte. Jan Philipp Reemtsma, der Gründer und Leiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung, hat Walser aufs Korn und dessen Roman ins Visier genommen. Einen Treffer nach dem anderen versucht Reemtsma zu landen und das Buch als zutiefst antisemitisch darzustellen.
Der Neuen Zürcher Zeitung ist nun gestern aufgefallen, dass Jan Philipp Reemtsma kein guter, ja noch weniger ein genauer Leser ist. Als neutrale Kantonisten verdanken wir schließlich den Schweizern zumindest eines: uneingeschränkte Neutralität – auch wenn es um einen „Feuilletonkrieg“ (Günter Grass) geht. Im Zuge von Reemtsmas Unterfangen, antisemitische Anspielungen in Walsers Roman zu belegen und dabei stets die übelste der möglichen Interpretation anzunehmen, hat sich ein Schnitzer in die Beweiskette eingeschlichen. Insbesonders die Physiognomie schaut er sich sehr genau an. Die Beschreibung der Nase des Ehrl-Königs, der in „Tod eines Kritikers“ als Karikatur von Marcel Reich-Ranicki auftritt, scheint ihm dabei besonders verdächtig. Die „so kräftige feine Nase“ sei eine „antisemitische Karikatur“, gerade weil da etwas fehle am Klischee des Juden. Und deshalb falle das auf. Gerade das sei Walsers Methode, etwas zu betonen, wenn es eigentlich verborgen sein soll. Doch der Schuss ging gehörig daneben. Die ominöse Nase gehört gar nicht André Ehrl-König, sondern der Romanfigur Hans Lach. Joachim Güntner, der aufmerksame Autor der Neuen Zürcher Zeitung, hat es als Erster entdeckt! Herzlichen Dank.
Ob er auch gemerkt hat, dass Bodo Kirchhoff in seinem „Schundroman“ ebenfalls den Kritiker an der Nase packt? Louis Freytag, alias Reich-Ranicki, hat dort „die Nase eines Kirchenfürsten“. Vorsicht. Kirchenfürsten sind katholisch.
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