unterm strich:
Lieber Leser, liebe Leserin, falls es Ihnen mal zu gut gehen sollte – kann ja sein, man hat zum Beispiel ein gutes Buch gelesen, sich angeregt unterhalten, was Neues gelernt oder sonst etwas Interessantes getrieben –, falls es Ihnen also mal zu gut gehen sollte, dann besuchen Sie doch mal die Herbsttagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, die übrigens gerade vergangenes Wochenende in Darmstadt abgehalten wurde. Sie werden sich recht allein fühlen! Es scheint nämlich, passend zur Jahreszeit, ein eher melancholisch getönter Emotionshaushalt derzeit geistige Mode zu sein. Jedenfalls: Der scheidende Präsident der Akademie, Christian Meier, warnte in Darmstadt vor dem Bedeutungsverlust der deutschen Sprache. Sein Nachfolger Klaus Reichert sah das Ende anspruchsvoller Bücher heraufdämmern. Der nagelneue Büchnerpreis-Gewinner Wolfgang Hilbig schließlich prophezeite gar das Ende der Literatur im Zeitalter der Massenmedien. Und in diese depressive Stimmung platzte am Samstag dann auch noch Bundespräsident Johannes Rau mit der Nachricht vom Tod des Suhrkamp-Verlegers Siegfried Unseld (siehe Seite 5 dieser Ausgabe). Partystimmung sieht anders aus.
Dabei zog der emeritierte Münchner Geschichtsprofessor Meier, der nach sechs Jahren den Präsidentenposten verlässt, gehörig vom Leder. In seiner Abschiedsrede machte er sich über die hilflosen Versuche von Pädagogen und Politikern lustig, aus den schlechten Ergebnissen der Pisa-Studie zu lernen. Eine Gesellschaft, die stumpfsinnig ihr Schicksal trägt, lasse keine besseren Leistungen erwarten. In deutscher Sprache werde zurzeit nichts Nennenswertes mehr gedacht und geschrieben, spitzte Meier weiter zu. Deshalb verliere sie verständlicherweise an Bedeutung.
Aus tiefster Seele kam auch die Klage von Wolfgang Hilbig. Seit er als Büchnerpreisträger feststeht, fühlt er sich von den Massenmedien gehetzt wie seinerzeit als dichtender DDR-Heizer von der Stasi. Abfällig äußerte er sich über das Bemühen der Literatur, die auf „allen Festivitäten der Medien tanzt, indem sie das Gnadenbrot frisst, das ihr in den Palästen der Zeitungshäuser und Fernsehanstalten gereicht wird“. So gebe die Literatur ihren Platz auf. Erst am Ende dankte Hilbig der Akademie für den Preis, der ihm „Mut und Kraft“ verleiht und Hoffnung macht, „dass meine Wörter und Sätze nicht vollkommen ins Leere laufen“. Gern nahm er auch das Lob des Bundespräsidenten entgegen, der Parallelen zwischen ihm und Georg Büchner zog und beider mutigen Kampf gegen diktatorische Systeme hervorhob.
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