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ulrike winkelmann über GolfDie Mutti-Vati-Bahn

Als Im-Gang-Hocker durften wir uns zu Recht empören – als Vielzuvielzahler sind wir einfach nur blöd

Bei allem, was wir am neuen Preissystem der Bahn noch nicht verstanden haben, ist doch zumindest eines gewiss: Es wird den Graben zwischen Familien und Singles weiter vertiefen. Nur Menschen, zu deren Lebensplanung ab dem 15. Dezember es gehört, in Kleingruppen zu verreisen, können der Bahnpreisrevolution etwas abgewinnen. Denn dass Kinder demnächst irgendwie nahezu umsonst mitfahren, ist das, was die PR-Manager und Verteidiger der Bahn immer als Erstes vorbringen.

Die Voll- und Teilzeitsingles aber werden ihrer Freiheit beraubt, sich wie Teil- oder Vollzeitsingles zu benehmen und Reisetermine spontan zu bestimmen. Und wenn wir dies beklagen, müssen wir uns jetzt auch noch von Familienmüttern und -vätern sagen lassen, wir seien asozial, weil wir ihnen den Rabatt nicht gönnen! „Ideologische Verblendung“, hielt mir gar mein Kollege – zweifacher Vater – vor, weil ich darauf beharrte, Spontanreisen sei ein Wert an sich und kein bloßes Konsumfeature. Klassisches Beispiel von teile und herrsche: Die Kunden der Bahn werden in Kasten zerspalten, und eine ungleiche Verteilung von Privilegien sorgt dafür, dass sie sich untereinander bekämpfen, statt das System in Frage zu stellen.

Drauflosfahren kostet also extra. Ab jetzt wird einen Monat im voraus gebucht, mindestens, am besten ein halbes Jahr vorher, denn auf Lieblingsstrecken wird die Zahl der Plätze für Frühbucher bestimmt auf die fünfundzwanzig Klappsitze im Dunstkreis der Zugtoilette begrenzt sein. Das Buchungssystem soll dafür sorgen, dass wir nicht mehr von München bis Frankfurt im Gang kauern müssen, mit Hass im Hals auf die Sitzplatzbesitzer, die ihrerseits verachtend auf uns herabsehen und die Krümel aus ihren Kekstüten in unseren Nacken kippen. Und doch wird nur eine Gemengelage böser Gefühle gegen eine andere ersetzt werden. Ich freue mich schon auf die Szenen im Zug, wenn die wenigen Frühbucher ihre Tickets schamvoll verbergen, um nicht von denen, die keinen Kontingentplatz mehr abgekriegt haben, angezischt zu werden. Oder werden wir uns gefallen lassen müssen, dass Bausparnaturen lauthals erzählen: „Früh bucht sich, was ein zufriedener Bahnkunde werden will?“

Und was passiert eigentlich, wenn ich wirklich wieder einmal ein Ticket im Zug kaufen will? Muss ich dann die auch für die Stornierung vorgesehene Spontaneitäts-Strafgebühr von 45 Euro draufzahlen? Wie werden sich die Freundlichkeitsschulungen fürs ICE-Personal wohl ändern? Kapitel römisch-eins, Abschnitt A: Statt „Umgang mit frustrierten Im-Gang-Hockern“ nun „Umgang mit frustrierten Kontingent-Verpassern“? Dieses Publikum ist zwar strukturell verwandt, muss ab nun jedoch auch noch gegen einen demütigenden Legitimitätsverlust ankämpfen: Als Im-Gang-Hocker durften wir uns wahrlich zu Recht empören, denn Reservieren war nichts, was von uns erwartet werden konnte. Künftig aber, als Vielzuvielzahler, werden wir uns vorhalten lassen müssen, dass Buchen die Norm, Zuspätbuchen aber eigene Blödheit ist.

Was um alles in der Welt haben wir von dieser beleidigenden und freiheitsvernichtenden Preisreform? Vielleicht applaudiert, wer in ordentlichen Fernbeziehungen steckt. Deren Hauptmakel war bislang, dass man nie wusste, ob der oder die Liebste am Freitag mit dem ICE um acht ankommt (selbst kochen, also vorher einkaufen!) oder mit dem um zehn (gleich in die Pizzeria). Wahrscheinlich freuen sich Mama und Papa, weil sie jetzt schon im November wissen, mit welchem Weihnachtszug die Kinder kommen – neigten die Jungerwachsenen doch sonst dazu, das Alltagskontrollbedürfnis der Generation ab sechzig dadurch zu strapazieren, dass sie erst am Morgen der Fahrt durchgaben, sie wollten bitte ausgerechnet zur Mittagessenzeit am nächsten Kleinstadtbahnhof im Ostwestfälischen abgeholt werden.

Aber genau das ist es ja, das schicksalhaft Plötzliche des Zugfahrens, das irgendwie alles möglich machte – dass Eltern gegen ihren Mahlzeiten-Rhythmus verstießen, dass Liebende sich in den nächstbesten Zug warfen statt davor, dass Schaffner in überfüllten ICE nicht gelyncht, sondern nur mit standardisierten Resignationsformeln bedacht wurden („Meine Fahrkarte? Ich dachte, sie kommen, um mir Schmerzensgeld zu bringen!“). Jetzt schlägt die Stunde derer, die sonst auch immer ganz vorn in der Schlange stehen, die morgens um acht den ersten Billigcomputer bei Aldi gekauft haben, die von hinten nach vorn schießen, wenn im Supermarkt die zweite Kasse aufmacht. Iiiiih.

Ich warte auf die Sendung, in der ein hochrangiger Bahnmanager im Schattenriss und mit künstlich verzerrter Stimme zugibt, dass er sich für den Kulturverlust bei der Bahn schämt. Dann bin ich wieder solidarisch.

Fragen zu Golf?kolumne@taz.de

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