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Archiv-Artikel

uli hannemann, liebling der massen Die netten Menschen vom Prinzenbad

Schön, dass sich Freiberufler jederzeit hitzefrei nehmen können, selbst im Winter. Heute ist es allerdings wirklich heiß. Vor dem Eingang zum Prinzenbad steht ein silbergrauer Porsche in der Feuerwehrzufahrt. „Ebenfalls ein Freier“, winke ich ihm in Gedanken zu, während wir in Sichtweite unsere Räder abschließen, „wenngleich sicher aus einer anderen Branche.“ Ich tippe auf Schönheitschirurgie. Mein Ding wäre dieses Rumgesauge in fremdem Fettgewebe nicht. Aber das muss jeder selbst wissen.

Im Schwimmbad ist endlich mal Zeit für die Zeitungslektüre. So stoße ich im Wirtschaftsteil auf die sensationelle Überschrift: „Arme trifft die Inflation am härtesten“. Das ist ja ein dicker Hund – meine Güte, wer hätte das gedacht! Und was ist mit den Reichen? Die haben doch viel mehr Geld, da verlieren sie doch viel mehr. So bass erstaunt bin ich, dass ich für einige Sekunden das Atmen vergesse, bis im Hypothalamus der Notgenerator anspringt, um wenigstens die wichtigsten Vegetativfunktionen zu regeln. Mein Gehirn läuft auf Stand-by weiter, für einen Tag im Prinzenbad genügt das vollkommen. So spart man Energie für wichtigere Tätigkeiten. Die Körperfunktionen werden gedrosselt, die Verbrennung sinkt, bloß ganz ausschalten geht leider nicht, da das Hirn weiterhin mit Sauerstoff versorgt werden will – eine leidige Sollbruchstelle beim Menschen.

Forschung und Wissen: „Deutsche Augenärzte melden: Blinde sehen am schlechtesten!“ Politik: „Krieg in Afghanistan: Mit scharfer Munition auf Menschen geschossen!“ Sport: „Schon wieder Dopingfall, obwohl das verboten ist!“ Vermischtes: „Amy Winehouse besoffen!“

Ein junges Paar unterbricht meine Gedanken. „Entschuldigung, dürfen wir bei euch unsere Sachen abstellen? Wir gehen nur kurz ins Wasser!“ Kein Problem. Stets kommen alle mit ihrem Kram zu uns, das kennen wir schon. Oft liegt ein riesiger Berg Klamotten, Taschen und Handys neben uns. Da kennt sich mit der Zeit kein Schwein mehr aus. „Sucht euch einfach was raus“, pflegen wir dann zu sagen, „nehmt euch, was ihr braucht.“ Wir sind die netten Menschen vom Prinzenbad. Der Schwimmmeister integriert uns bereits in seine Durchsagen: „Der vierjährige Ögül kann bei den netten Menschen abgeholt werden!“ Oder: „Bitte geben Sie Ihre Wertsachen in ein Schließfach oder hinterlegen Sie sie bei den netten Menschen!“ Wir erwecken wohl einen extrem vertrauenswürdigen Eindruck, mit unseren mildklugen Blauäuglein und unserer sammetbraunen Streichelhaut.

Womöglich aber ist dieses „vertrauenswürdig“ nur die eine Seite der Medaille. Die andere klingt, laut gedacht, in etwa so: „Diese alten Säcke, die den ganzen Tag wie tot auf einer Decke beim Kaltwasserbecken liegen und einander erfundene Zeitungsüberschriften vorlesen, sind Law-and-Order-mäßig bestimmt noch dermaßen Old School, dass sie wie Kettenhunde reflexartig losschnappen, sobald sich jemand selbst der fremden Habe auch nur auf einen Meter nähert.“ Kurz: Die jungen Menschen verachten unsere vermeintliche Blockwartmentalität, doch sie lächeln dabei, um sie auszunutzen, und wir machen uns nun mal gern nützlich. Andere Menschen sind da ganz anders gestrickt; das beweist die folgende Durchsage: „Der Fahrer des silbernen Porsche mit dem Kennzeichen Berta, Ludwig, Ögül einhundertfünfundzwanzig soll sich bitte umgehend zu seinem Fahrzeug begeben, das in der Feuerwehreinfahrt parkt.“

Nicht weit von uns erhebt sich ein braun gebrannter Mann und blickt sich demonstrativ um. Weil noch zu wenige geguckt haben, setzt er sich wieder hin, springt anschließend erneut auf, diesmal auf dynamische Art federnd, ruft theatralisch „Mein Auto! Oje! Das ist ja meins!“, schlüpft in eine weiße Hose, zieht den Autoschlüssel heraus, jongliert klimpernd damit, während er sich, lauthals „Also nee? Feuerwehr? Mein Porsche!“ deklamierend, gen Ausgang begibt und auf dem Weg dahin großzügige Schnörkel und Ehrenrunden um sämtliche Schwimmbadbesucher herum beschreibt. Das hat er extra gemacht! Angeben ist ihm wichtiger als Menschenleben. Da bin ich doch lieber Old School. ULI HANNEMANN