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Archiv-Artikel

uli hannemann, liebling der massen Geliebter Baum, geliebte Nummer zwanzig

Der Straßenbaum, an den ich mein Fahrrad anschließe, trägt ein Schild mit der Nummer 18. Warum man die Bäume durchnummeriert hat, weiß ich nicht – es geht mich auch nichts an.

Baum Nummer 18 also. Baum 18 ist ein kleiner dünner Baum, wahrscheinlich noch nicht sehr alt und nur auf einer Seite des Stamms mit Schnee bedeckt. Ich vermute mal, dass es von ebenjener Seite dagegen geschneit hat, ja, das vermute ich mal – egal. Vieles ist mir heute egal. Ich fühle mich wie 40 Jahre alter Spekulatius. Am liebsten wäre ich jetzt einfach nur Baum Nummer 18: bloß dastehen, nichts denken, sich ein bisschen von der Seite anschneien lassen, fertig. Es gibt solche Tage.

Oder Baum Nummer 19. Das wäre sicher auch vollkommen okay, das nähme sich nichts. Zur endgültigen Vergewisserung untersuche ich den Nachbarbaum – genau das gleiche Bild: klein, dünn und von derselben Seite angeschneit. Von wegen Klimakatastrophe – die geht in meinen Augen frühestens dann los, wenn zwei direkt nebeneinander stehende Bäume aus drei verschiedenen Himmelsrichtungen angeschneit werden. Der Baum trägt tatsächlich die Nummer 19. Trotz allen Kummers beschleicht mich kurz leise Genugtuung: Baum Nr. 18 neben Baum Nr. 19 – so muss es sein!

Man kann allerdings nicht gleichzeitig Baum 18 und Baum 19 sein. Simple Wahrheiten wie diese lehrt einen das Leben, doch ist nicht das letztlich der Grund für meine momentane Bitterkeit, sondern ein nicht enden wollender Sommernachtsalbtraum mitten im Winter: Jeder will den oder die, die oder den sie oder er nicht bekommt, und bekommt stattdessen die oder den, den oder die er oder sie nicht will. Das klingt kompliziert. Deswegen ja Baum Nummer 18.

Das bin ich jetzt auch. Ich wollte Baum Nr. 18 sein, also bin ich Baum 18. Dazu brauche ich kein autosuggestiv/militäresoterisch angehauchtes US-Managermotivations-Schrei-Seminar zu besuchen – das sieht schließlich jeder allein schon daran, dass mein Fahrrad an mir angeschlossen steht.

Baum sein. Stumm sein, klar sein, dumm sein.

Doch ich habe die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Amor, diese hirntote Putte, plempert ihre gepanschte Gülle aus Liquid Ecstasy und Herzschmerztropfen mal wieder dermaßen planlos in die Pampa, dass selbst ein Gauleiter SS im Nullkommanichts zum „Coldplay“ konsumierenden Nervenbündel konvertiert.

Oder ein Baum zur Espe. Auf einmal bekomme ich tierische Sehnsucht nach Baum 20. Leider steht Baum 19 zwischen uns. Ich fürchte, Baum 19 wird immer zwischen uns stehen.

So schaut eine Tragödie aus. Ach, Baum Nummer 20! Wie liebend gerne würde ich jetzt meine Äste um dich legen und zärtlich necken, „ey, du hast da Schnee am Stamm“, und du fragst, „machst du den weg, Liebster?“ Doch wir verharren wie angewurzelt.