trendscouts, bergasketen, suppenküchen etc.: Wie die japanische Nudelsuppe nach Berlin kam: Von einer, die auszog, ein Neobeatnik zu werden
EXOTISCH VERLIEREN UND GEWINNEN
An meinem 24. Geburtstag saß ich zusammen mit drei Freunden in einer Wohnung in einem drögen Londoner Vorort. Wir alle hatten dasselbe Problem: Wir waren mit unserem Studium fertig. Also redeten wir darüber, was wir werden wollten, und wenn möglich ziemlich schnell. Dass wir alle cool sein und in keine Firma eintreten wollten, das war kein Thema, das war klar.
Zoe überlegte sich, eine loose woman zu werden. Ihr gefiel der Gedanke, von einem One-Night-Stand zum nächsten katapultiert zu werden. Das lag wohl daran, dass sie gerade eine etwas unbefriedigende Beziehung hinter sich hatte. Die träge Gina, mit ihrem voluptuösen Körper und den langen, roten Haaren fand die Vorstellung, eine loose woman zu sein, auch sehr schön. Sie beschloss, eine exotic loose woman zu werden. Sie stellte sich das so vor, dass sie mysteriös Pfeife rauchend auf Partys sitzen und Männern ganz tief in die Augen schauen würde. Ohne ein Wort zu sagen, würde sie mit denen in ein Nebenzimmer verschwinden und sie durch ihren Duft benebeln.
Paul, mein Freund, dachte daran, einfach nur ein Skinhead zu werden. Und zwar, weil das Hordendasein ihn so anmachte. Ich selbst aber wollte ein Neobeatnik werden. Wie man zum Neobeatnik wird, davon hatte ich nur eine vage Vorstellung. Mir gefiel einfach der Gedanke, etwas Neues anzufangen, wie das damals die Beatniks gemacht hatten. Keine Anti-Bewegung starten, sondern durch Projekte den eigenen Weg finden. Da es mir allerdings an einer genaueren Definition für einen Neobeatnik fehlte, fertigte ich ein großes Poster an, in Blau und Gelb, auf dem ein meditierender Mensch zu sehen war. Daneben schrieb ich das Wort „Neobeatnik“ und meine Faxnummer. Ich hängte das Poster überall auf und wartete. Es kamen keine Faxe, und ich ging nach Japan. Dort bezahlte mich eine Universität für das Erforschen von Bergasketen. Eine Zeitlang ging es mir gut. Es gab sogar einen echten Beatpoeten, Gary Snyder, der sich in die japanischen Berge zurückgezogen hatte. Als ich genug Bergasketen besucht hatte und mich auf den Heimweg nach Deutschland machte, hätte ich gern etwas aus Japan mitgenommen: So kam die japanische Nudelsuppe nach Berlin.
Essen, das weiß man schon vom Döner, ist der sanfteste unter den Missionaren. Nudelsuppe birgt das warme Gefühl von zu Hause, und selbst ein so fernes Land wie Japan kann einem durch eine Suppe ganz nah kommen. Mit einem Freund zusammen bauten ich eine mobile Nudelsuppenbar und kochte den Sommer über in Berlin Nudelsuppe. Die Samstagabende hinter der Bar waren die schönsten. Es kamen immer viele Menschen vorbei und sprachen beim Nudelsuppenessen über sich, ihr Bild von Japan und anderes. Nach zwei Monaten kannte ich alle stereotypen Vorstellungen über Japan. Nach dem Sommer bekamen wir einen Raum in Berlin-Mitte. Es kamen viele Leute. Ein japanisches DJ-Pärchen fing an aufzulegen, und die Bude war immer voll. Es gibt kaum eine Berliner Zeitung, die nicht vom „Trend Nudelsuppe“ berichtet hat. So schnell kann das gehen. Ob ich aber ein Neobeatnik geworden bin, ist erst einmal nicht mehr so wichtig.
Zoe sah ich erst neulich. Sie hat viele Erfahrungen als loose woman gesammelt, wohnt jetzt aber in Indien mit einem Jain zusammen, der abends seinen Dolch ablegen muss, bevor er zu Bett geht. Die träge Gina ist mit einem Türken verheiratet und wohnt in einem anderen drögen Londoner Vorort. Paul ist heute ein wichtiger Mann in einem riesigen japanischen Elektronikkonzern und sammelt alte Gürtelschnallen von Hitlerjungen.
MICHAELA VIESER
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