: tikradiokritikradiokritikradiokri
■ „Total real“. Hörspiel von Jens Hagen. Regie: Hans Helge Ott
Hörspiele hört man schon lang nicht mehr wie meine Oma früher: Die zog sich ehrfürchtig die Schürze aus, kämmte die Dauerwellen, setzte sich aufrecht in ihr Sofa - mit glattgestrichenem Rock - und lauschte in stiller Andacht. Heutzutage hört man im besten Fall nebenbei ein bißchen zu, oder auch weg. Es sei denn, man muß, weil es die Rezensentenpflicht verlangt. Aber auch Rezensenten sind abends hin und wieder todmüde und wollen, wollen einfach nicht mehr. Wie schön also, daß es Kassetten gibt, mit denen man aufzeichnen kann, was dann am nächsten Morgen mit klarem Kopf nachzuhören ist. Man könnte ja vielleicht, die Beine ausgestreckt, die Backen schlaff auf die Schultern hängenlassend, schon mal ein bißchen 'reinhören, wie die modernen Wellen-Vagabunden sagen. Ja, aber was ist das denn? Da wird man ja plötzlich hellwach und setzt sich in bester Laune aufrecht hin, wie Oma, damit man auch kein Wort verpaßt, damit einem keine Nuance entgeht von diesem veralberten, veralbernden Science-Fiction-Liebes-Geplänkel im „Gästehaus der sanften Patrouille“.
Also: Zweimal gehört, und zweimal genossen: „Total real“, eine satirische kleine Phantasie über das Liebesleben im durchcomputerisierten kommenden Jahrtausend, wo man sich nicht mehr anfaßt, sondern im Imaginationskino per Emotionsvisualisator den Attraktivitätsreciever auf body -contacts einstellt und darüber mit Speichel in den Mundwinkeln redet. Das tut jedenfalls Peter Kaempfe: Mit schweinigelnd-verklemmtem Hochgenuß erzählt er von seiner total realen Knopfdruck-Begegnung mit einer Nachbarin, während Donata Höffer sich mit ihrem „Memory Friend“ berät, wie sie einen Mann, der ihr gefällt, an ihrem Wunschrealisationssystem beteiligen könnte.
Dieses Computersprachgeklingel, mit dem so gerne in kritisierender Absicht das seelenlose EDV-Zeitalter beschworen wird - hier ist es ein amüsant verspieltes Durchprobieren von Wort-Ungetümen im digitalisierten Liebesleben einer gar nicht 9 yfernen Zukunft, denn immerhin fällt, in die abstraktifiztierte Sprache passend, auch mal der Satz: „Ein Stück weit macht mich das irgendwie wahnsinnig betroffen.“ Kennen wir das nicht irgendwie schon jetzt? Und wie schön doof spricht Anne Rottenberger erbauliche Sätze wie: „Zwischen uns sei die Wahrheit, heißt es in der 'Iphigenie‘ des großen Johann Wolfgang von Goethe.“ Oder der Wirt im Gästehaus, der bei jeder Getränkebestellung die „historische Aufnahme“ einer ausgestorbenen Vogelart abspulen läßt, mit Gruß „vom freundlichen Kommunikations-und Bewirtungsgewerbe.“ Ein kleines, absurdes Vergnügen, wie mit links inszeniert und gesprochen. Schönen Dank auch, Hans Helge Ott.
Sybille Simon-Zülch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen