themenläden und andere clubs: Der neueste Ausgehtrend: Einfach vorbeilaufen
Immer da, aber nie drin
Wenn es demnächst wieder wärmer werden sollte, muss man sich wohl wieder Gedanken darüber machen, wo man abends und in der Nacht herumstehen will. Nachdem sich die Dienstagsbar logischerweise am letzten Freitag endgültig verabschiedete, ist ein weiteres Stück Mitte um eine Menschentraube vor einer heruntergekommenen Ladenwohnung ärmer geworden.
Dafür kann man jetzt am Zehnten, Zwanzigsten und Dreißigsten des Monats vor dem „Aroma“ herumstehen. Und dabei stundenlang die renovierten Gründerzeitfassaden der Gormannstraße anstarren, sich lasziv an Autokarosserien schmiegen und gut gelaunte Fragen wie „Morgen, Haus des Lehrers?“ von einer Straßenseite zur anderen brüllen.
Leider darf man keine Getränke mit rausnehmen, weil die Polizei immer schon vorher da war. Der alte Rat an schlaflose Nachbarn: „Zieh doch nach Ruhleben!“, stößt bei den Null-Toleranz-Anwohnern auf taube Ohren. Notfalls lässt es sich ja auch im Aroma eine Zeit lang aushalten. Eine Schmuckdesignerin stellt hier Nora-Halsketten in verschiedenen Materialen aus und hängt sie spontan fremden Menschen um. Und es stehen alle rum, die früher immer vor der Galerie berlintokyo rumstanden. Erinnerungen an einstige berlintokyo-Sommer kommen auf. Es war doch eine schöne Zeit: der Keller meist zu stickig, zu voll, das Programm langweilig oder bizarr, und die ganzen Bekannten sowieso draußen. Es gab Wochen, da war man immer da, aber nie drin.
Ob hier die Idee geboren wurde, sich von der altbackenen Institution „Club“ zu emanzipieren und sich in den warmen Monaten irgendwo mit Menschen und Getränken auf interessanten Brachgeländen oder an zerbröckelten Fassaden zu treffen? Ein szenebekannter Prominentenschreiner schlug deswegen vor, eine etwa sechs Stufen hohe Treppe auf Rollen anzufertigen. Sie sollte Zentrum des Rumstehens sein, eine Grenze vom Draußen zum imaginären Innen markieren und Orientierung bieten.
Dieser Gedanke ist jedoch im Ansatz falsch. Das Draußenstehen ist nämlich nur so lange attraktiv, wie es sich vom Drinnenstehen distanziert: Wer draußen steht, symbolisiert: „Was schert mich der DJ, was kümmert mich die Installation! Ich brauche mich nicht an eine Bar oder sonst was emotional anzubinden. Die rauverputzte Hauswand ist mir Halt genug.“
Der neue Ausgehtrend ist ja der, gar nicht mehr vor Bars und Locations rumzustehen, sondern achtlos an ihnen vorbeizulaufen und so absolute Autonomie zu beweisen. Hierzu ein Ausgehtipp fürs Wochenende: Samstags zum Deli laufen, der Club der im Niemandsland um den Ostbahnhof idyllisch am Wasser liegt. Auf der Michaelsbrücke den Schritt kurz verlangsamen: Dort verschmelzen die 300 eng aneinander und ans Brückengeländer angeschlossenen Fahrräder zu einer riesigen Chromskulptur. Das Treppchen, das zum Wasser führt, ebenso ignorieren wie die Musik, die aus der von Holunderbüschen umwucherten Holzbaracke dringt. Ein freundlich-teilnahmsloser Blick von der Brücke auf die Menschen am Lagerfeuer reicht, um dann vorbeizugehen und sich einfach auf den Weg nach Hause zu machen. Oder, noch cooler, sich in einer unbelebten Staße vor einen Parkplatz zu stellen.
CHRISTIANE ROESINGER
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