themenläden und andere clubs: Jobs, Kinder und andere schlechte Ausreden
Niedergang der Korbkultur
Einer der niederschmetterndsten Körbe, die ich je bekommen habe, war der: „Nee, ich habe keine Zeit heute Abend, ich muss noch aufräumen.“ Welch eine Schmach! Lieber aufräumen, als mit mir zusammen zu sein! Danach kratzten mich quasi-humane Körbe wie „Ich bin schon verabredet“ oder „Ach, wir haben uns doch erst letzte Woche gesehen“ eine Zeit lang kaum noch.
Die Korbkultur ist in einem schlimmen Zustand, das konnte ich im Laufe der Jahre jedenfalls feststellen. Wo FreundInnen und Bekannte sich früher noch tolle Geschichten ausgedacht haben, steht jetzt meistens die nackte Wahrheit: „22 Uhr treffen? Das ist mir zu spät. Da bin ich schon müde.“ Das hätte doch vor ein paar Jahren nie jemand zugegeben, dass er/sie bereits um 22 Uhr in die Bettdecke beißt. Nein, da wäre man mit etwas Fantasievollem wie „Klar würde ich gerne mitkommen, aber ich habe den Schlüssel zu meinem Hinterhaustor verlegt, und jetzt versuche ich, den Hauswart anzurufen, damit er mich hinauslässt . . . Wenn ich ihn bis kurz vor 22 Uhr erreicht habe, dann komme ich ganz bestimmt!“ angetreten. Oder hätte einfach stumpf behauptet, man sei „doch dagewesen, wo warst du denn???“
Gerne erinnere ich mich auch an die wilden BVG-Geschichten, die ich oft ersonnen habe, um meine Verspätungen oder mein Fernbleiben zu entschuldigen: Der Busfahrer hatte einen Platten! Die U-Bahn hat sich verfahren . . . Aber non, je ne regrette rien, was die BVG-Verleumdungen betrifft. Denn an jeder kleben mindestens 100 Körnchen Wahrheit. Man kann die Lust, auf der BVG herumzuprügeln, schließlich nicht genug kultivieren.
In letzter Zeit liegen in den Körben, die ich mir beim Freunde-Abtelefonieren abhole, unglaublich oft Kinder (diese kleinen Soziales-Leben-Killer), oder Jobs bzw. Jobs gekoppelt mit dem Hinweis auf das Alter: „Ja, Jenni, natürlich musste ich früher auch so früh aufstehen, aber da konnte ich das noch besser ab, jetzt brauche ich nun mal meine acht Stunden Schlaf!“ Sehnsüchtig warte ich auf die Zeit, in der endlich die präsenile Bettflucht einsetzt und meine Freunde sich lieber zum 1.000. Mal irgendeinen dummen Film aus unserer Jugend mit mir anschauen würden, als den kleinen Tod zu sterben. Aber dafür werden dann, vermute ich, die momentan noch recht unmodernen Krankheitsentschuldigungen stark ansteigen: „Meine Dritten sitzen nicht richtig fest“, „Die Prostata, die Prostata!“ und „Diese Dioden im linken Kniegelenk . . .“ Ich werde wohl auf meine alten Tage noch Ärztin werden müssen, um diese vorgeschobenen Gründe argumentativ entkräften zu können.
Vielleicht, das vermutet ein Teil meines Unterbewusstseins, der ab und an klare Gedanken produziert, werde auch ich in Zukunft gar nicht mehr so viel ausgehen wollen. Weil ich nämlich selbst mit kaputten Knien, wackeligen Dritten und einer fragwürdig funktionierenden Prostata am Telefon sitzen und Ausreden am laufenden Band produzieren werde. Wobei ich mir am besten jetzt schon mal eine Mental Note mache, dass ich das mit der Prostata nur in absoluten Notfällen vorschieben darf. JENNI ZYLKA
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