themenläden und andere clubs: Die neue Firma
Sauen jagen
Manchmal braucht man nicht mal die Höhle zu verlassen, um Abenteuer zu erleben. Neulich nachts, ich lag in einem Haus am Ufer des Landwehrkanals (eingepackt im Bett, nicht zerstückelt im Keller), neulich nachts hörte ich, wie draußen Menschen sangen. Laut und vernehmlich schienen sie mir direkt vor dem Fenster ein Ständchen zu bringen, allerdings ein unverständliches: keines der wenigen Idiome, die ich erkennen oder radebrechen kann, war darin verwickelt. Stattdessen klang der mehrstimmige (ich unterschied mindestens eine Frauen- und zwei Männerstimmen) Gesang nach „Allacha hama hama hacha“. Araber?, fragte ich mich? Gutgelaunte, angetrunkene Araber? Nachts um halb fünf?
Ich wohne schon eine Weile in Kreuzberg, aber angetrunken grölende Araber hab ich noch nie erlebt. Wenn jemand grölt, dann immer nur Deutsche, Engländer, Skandinavier oder türkische Kleinkinder, die „Aaannnnneeeeeee!“ gellen. Zur Love Parade pinkeln überspannte französische Touristengruppen auch mal aus den Fenstern der Mitwohnzentrale in meinem Hinterhof und singen dazu „Dans le jardin de mon pere“. Aber noch nie haben mir Araber etwas vorgegrölt. Also überlegte ich weiter: Konnte das gekonnte Gesinge vielleicht Hebräisch sein? Es klang, zumindest von der Melodie her, mit etwas Fantasie ein wenig nach „Hawa Nagila“. Aber blaue Juden?
Kurz überlegte ich, ob ich einfach „Zu Bethlehem geboren/ist uns ein Kindelein“ aus dem Fenster zurücksingen sollte, um eine Reaktion zu provozieren, verwarf den Gedanken jedoch. Als ich endlich mit Infrarot-Fernglas (braucht man als Hinterhof-Mensch) aus dem Fenster kiebitzte, hatte sich der fröhliche Verein schon auf eine Bank etwas weiter weg verzogen und unterhielt sich. Auf Deutsch. Was mir vollends den Rest gab.
Offensichtlich bin ich neulich nachts Zeugin geworden, wie mehrsprachige, arabische ExagentInnen die Brocken hinschmissen und mit dem auszuspionierenden Staat Deutschland kungelten. Und sozusagen als Ausstandsfeier ihrer verdeckten Untergrundexistenz hatten sie sich mit den Exfeinden erst mal kräftig einen hinter die Binde gegossen, um ihnen dann ein paar Heimatlieder vorzusingen.
Die Stelle am Landwehrkanal mit der Bank scheint zudem schon lange ein geheimer Treffpunkt für ehemalige Spione zu sein. Vor ein paar Monaten hörte ich eine weitere Singtruppe, diesmal in eindeutig identifizierbarer deutscher Sprache. Aber von den Liedern, die in Melodie und Textfetzen („Heimat“, „Arbeit“, „Mädchen“) altmodisch klangen, kannte ich kein einziges. Irgendwann verstand ich, dass die betrunkenen Männer Ex-FDJler waren. Und im Nachhinein wird mir natürlich klar, dass damals Ex-Stasi-Schergen ihren Ausstand feierten, sich infolgedessen erst mal einen hinter die Binde kippten und so weiter.
Die Schlussfolgerung liegt nah, dass dort am Ufer des Landwehrkanals, zwischen Kreuzberg und Neukölln, ein geheimes Spionageabwehr-Hauptquartier existieren muss, durch das ständig Überläufer geschleust werden. Wahrscheinlich ist das Ganze getarnt als „WG“ oder „Pizzeria“. Ich hoffe, dieses Wissen macht mich nicht zur Zielscheibe. Wenn ich demnächst auf mysteriöse Art verschwinden sollte, dann bitte ich darum, am Landwehrkanal auf mich zu warten, bis ich wieder auftauche, um mit dem Feind zu kungeln und betrunken Lieder zu singen.
JENNI ZYLKA
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